Jahresgaben 2019

– 15. Dezember 2019

(Schaufenster am Hofgarten & online)

Jovana Reisinger
WENDY
2019
1-Kanal-Video
HD Video, Ton, Farbe
3:19 min

Die in Form eines Trailers konzipierte Videoarbeit Wendy erzählt die Rettung eines im Wald zaghaft und hoffnungslos um Hilfe rufenden jungen Mannes von einer stolz erscheinenden Reiterin. Die Vorwegnahme des auflösenden Moments durch die bereits ausformulierte Handlung, verdeutlicht die Hinfälligkeit der angekündigten Langfassung und entpuppt den Trailer als Referenzrahmen, der Stilisierung von Geschlecht und Ethnie reflektiert und sich aus ihr zu befreien versucht.

Der Titel der Arbeit, der zugleich Name der weiblichen Hauptfigur ist, zieht eine unmissverständliche Referenz zum Magazin Wendy, das seit mehr als 30 Jahren herausgegeben wird und in dem sich die Comicreihe der pferdebegeisterten Wendy finden lässt. Getarnt als rosa und lieblich gestaltetes Magazin, eröffnet es sich der Leser*in als fundierte Wissenszeitschrift, die seither als reines „Mädchenmagazin“ wahrgenommen wird. Dieses nahm eine von Nichtleser*innen ungeahnte feministische Position ein und befreite zudem das Pferd und die Reiterfigur symbolhaft aus ihren patriarchalischen Fesseln. Man denke beispielsweise an das Reiterstandbild, das bereits im antiken Rom den Feldherren oder Herrscher überlebensgroß erinnerte und als Retter des Volkes idealisierte, den Prinzen zu Pferd, der vor allem in westlichen Märchen die Rolle des Rettenden einnimmt aber auch den Kriegshelden, der nach Ende des Kampfes ruhmreich nach Hause reitet. Die Figur des Reitenden ist in der (Kultur-)Geschichte eng mit der Heroisierung des Mannes verknüpft.

In Reisingers Videoarbeit verdichtet sich die feministische Vision der Befreiung aus dem Patriarchat in der weiblichen Reiterfigur und in der Rolle des Pferdes, das Simone genannt wird und nach der Philosophin und Feministin Simone de Beauvoir benannt ist, wie es durch die Ausformulierung im Untertitel nochmal deutlich gemacht wird. Beauvoir verdeutlichte bereits 1949 in ihrem Werk „Das andere Geschlecht“, das im französischen Original unter dem Titel „Le Deuxième Sexe“ herausgegeben wurde, die Selbstbefreiung der Frau in einer egalitären Gesellschaft und machte darin, neben der viel kritisierten biologischen Unterscheidung von Geschlecht, vor allem kulturelle und soziale Einschreibungen von Geschlecht bewusst.

Jovana Reisinger inszeniert die Videoarbeit als eine Pastiche der illustrierten Abenteuer von Wendy und verflechtet sie mit Beauvoirs Gedanken zur Befreiung der Frau, den sie als „Beweis, dass Feminismus auch Männer aus dem Patriarchat befreit“, wie es die Stimme aus dem Off zum Ende verkündet, weiterdenkt.

Text: Christina Maria Ruederer

Buch, Regie, Schnitt: Jovana Reisinger
Kamera, Color Grading: Lilli-Rose Pongratz
Ton: Felix Herrmann
Tierbetreuung: Susa Tauber
Sprecherin: Julia Riedler

Cast: Merel Biebel, Alexander Freudenberger, Jovia

Unterstützt durch:
j'ai mal à la tête
HFF München

WENDY ist Teil der diesjährigen Jahresgaben und zu sehen im Schaufenster am Hofgarten sowie auf der Webseite.

Die Jahresgaben gehen auf die Gründung des Kunstverein München im Jahr 1823 zurück, als die Mitglieder alljährlich im Rahmen ihrer Mitgliedschaft einen Druck erhielten. Im Laufe der Zeit entwickelte sich daraus eine Gruppenausstellung mit Werken von zumeist in München lebenden Künstler*innen. Die Jahresgaben wurden zu einem wichtigen Format, welches die Vielfalt der zeitgenössischen Kunstszene der Stadt widerspiegelt, ihre Werke zeigt und diskutiert. Unsere Mitglieder haben dabei die Möglichkeit, Arbeiten zu speziellen Preisen käuflich zu erwerben und so die lokale künstlerische Produktion sowie den Kunstverein München zu unterstützen.

Installationsansicht: Jovana Reisinger, Jahresgaben 2019, Kunstverein München, 2019

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