Archiv Newsletter No. 6.3

August 2019

In diesem dritten und letzten Teil der Newsletter-Serie, welche sich der Ausstellung Die Utopie des Designs (1994) widmet, soll das besondere Augenmerk auf den Bereich des Corporate Designs gelegt werden.
Am Beispiel der Olympischen Spiele 1972 lässt sich exemplarisch aufrollen, wie die verschiedenen Bereiche Design, Architektur und Corporate Design ineinandergreifen.
Im Zuge der Olympiade veränderte sich weit mehr als nur das Oberwiesenfeld in München. [1] Die Meilensteine bei der Umsetzung des Großereignisses Olympia hatten dabei weltweiten Einfluss auf einen interdisziplinären Kontext von Design, Architektur, Urbanistik und Kunst.

Betrachtet man Corporate Identity als Teil der wirtschaftlichen Praxis, können insgesamt vier Perioden unterschieden werden: [2]

  • Traditionale Periode
  • Markentechnische Periode
  • Design-Periode
  • Strategische Periode

Mit Beginn der 1950er Jahre begann sich der Begriff des Corporate Designs zu wandeln. Form, Farbe und Ästhetik der hergestellten Produkte bildeten nun die Grundlage für die Neugestaltung des gesamten Erscheinungsbilds eines Unternehmens (die sogenannte Design- Periode). Vorbilder für eine gelungene Produkt-Design-Philosophie der 1950er Jahre waren die Firmen Braun und Olivetti.
Besondere Bedeutung für die weitere Entwicklung der Corporate Identity hat in diesem Zusammenhang die Gestaltung des Produkts „Olympische Spiele“ durch Otl Aicher von 1967 bis 1972, dessen Farbgestaltung, Piktogramme und Orientierungssysteme einen damals neuartigen grafischen Gesamteindruck bewirkten. Die Piktogramme, welche Aicher für die Spiele entwickelte, sind bis heute internationaler Standard. Die betont unpolitische Ausdehnung des Design- Anspruchs der Olympischen Spiele auf kommunikative, soziale und interaktive Elemente kam der Entwicklung des Corporate Designs maßgeblich zugute. Otl Aicher (1922–1991) gehörte zu den Gründern der Hochschule für Gestaltung in Ulm. Aicher und sein Umfeld waren der Meinung, dass Kunst „eine Flucht war aus den vielfältigen Aufgaben, die auch der Kultur erwuchsen als die Naziherrschaft in Brüchen lag.“ [3] Allein Grafik und Produktgestaltung sollten dazu dienen, die Gesellschaft umfassend zu humanisieren. [4]
Die Ulmer Gestaltungsprinzipien wurden in den 1960er Jahren durch die Zusammenarbeit mit den Brüdern Braun rasch und exemplarisch in einem industriellen Kontext angewandt. Anhand der Firma Braun wird ersichtlich, wie durch die Einheit von technologischem Konzept, kontrollierter Produktgestaltung und streng geordneten Kommunikationsmitteln (wie Briefbögen, Prospekten, Katalogen) ein Gesamterscheinungsbild eines Unternehmens realisiert wurde, das in seiner Stringenz beispielhaft ist.
So wurde die Firma Braun zum Zentrum für eine Bewegung, die als „Gute Form“ weltweit Beachtung fand.[5]
Das Erscheinungsbild der Firma Braun, das Aicher 1954 konzipierte und später von Dieter Rams weiterentwickelt wurde, gilt heute ebenso wie das 1960 gestaltete Bild der Lufthansa als Meilenstein in der Entwicklung des Corporate Designs.

Die Olympia-Philosophie wurde letztlich zum Anstoß, Corporate Design auf Corporate Identity auszudehnen. Ab Mitte der 1970er Jahre entwickelte sich so schließlich ein klarer strategischer Begriff der Corporate Identity als Instrument der Unternehmenspolitik. Damit beginnt auch die Bedeutung von Corporate Identity in Theorie und Praxis. [6]
„In der wirtschaftlichen Praxis ist demnach Corporate Identity die strategisch geplante und operativ eingesetzte Selbstdarstellung und Verhaltensweise eines Unternehmens nach innen und außen auf der Basis einer festgelegten Unternehmensphilosophie, einer langfristigen Unternehmenszielsetzung und eines definierten (Soll)-Images, mit dem Willen alle Handlungsinstrumente des Unternehmens in einheitlichem Rahmen nach innen und außen zur Darstellung zu bringen.“ [7]
Corporate Identity bedeutet nun also auch die umfassende Einbindung der ArbeitnehmerInnen in die Unternehmenskultur. Man hatte verstanden, dass ein Unternehmen erst dann glaubwürdig erscheint, wenn interne Verhaltensgrundsätze im Sinne eines Corporate Behavior existieren, die Design und Kommunikation ergänzen. Das Unternehmen wird somit als Metapher für die Gesellschaft verstanden. Daraus folgt, dass ein Unternehmen nicht nur eine Kultur hat, sondern es ist Kultur. [8]
Gleichzeitig zur Olympiade arbeitete Otl Aicher zwischen 1969 und 1972 an der Design-Philosophie der Bayerischen Rück. Da dieses Unternehmen keine Produkte herstellte, war dessen kulturelles Image umso wichtiger. [9] Durch Corporate Design und Corporate Identity wie der Bayerischen Rück wurden die Konzerne nun mit Gestaltung nach innen und außen versehen, die sie bewusst in das Erscheinungsbild „Gesellschaft“ einfügen sollte.
„Die betriebswirtschaftliche Kameradschaftspflege, die schon jede Fabrik zur Steigerung der Produktion sich angelegen sein läßt, bringt noch die letzte private Regung unter gesellschaftliche Kontrolle, gerade indem sie die Verhältnisse der Menschen in der Produktion dem Schein nach unmittelbar macht, reprivatisiert.“ [10]

Von all den Ansätzen umfassender Neuformung durch Design waren neben dem Zugriff auf das Erscheinungsbild der Firmen die architektonischen Projekte wahrscheinlich die erfolgreichsten. [11]

Mit der Olympiade und im Zuge des Stadtentwicklungsplans für München ab 1963 wurde die urbane Landschaft zunehmend ein repräsentatives Bild der neuen Stadt. Im Münchner Osten entstand ab 1967 die Entlastungsstadt Neuperlach für 80.000 Einwohnerinnen und Einwohner. Zudem wurde das Verkehrsnetz durch Ringstraßen und ein U-Bahnnetz ausgebaut und die Innenstadt zur Fußgängerzone umgebaut. Bedeutung und Charakter der alten Stadtviertel änderten sich gravierend, zugleich wurden bislang ländliche Freiflächen erschlossen. Damit ging natürlich ein Schwinden regionaler Lebensweisen in den alten Stadtbezirken einher und deren Preisniveau änderte sich gravierend. In die Sozialwohnungen von Neuperlach zogen vornehmlich weniger Begüterte und Familien, die Innenstadt wurde frei für Touristen und Touristinnen sowie den wohlhabenden Bevölkerungsanteil. Eine Entwicklung, deren destruktiver Charakter in den 1960er Jahren vor allem in der US- amerikanischen Forschung bereits bekannt war. [12]

Das neue, urbane Bild der Stadt München wurde dabei besonders durch eine zeichensetzende Architektur von großen Unternehmen strukturiert.
1969 erwarb die Siemens AG ein großes Grundstück in Perlach und baute hier, beraten von der Architektengemeinschaft van den Broek en Bakema aus Rotterdam, ein Verwaltungs- und Forschungszentrum. Die neuen Siemens- Bauten zeichneten sich durch maximale Funktionalität und eine mögliche Mehrfachnutzung aus. Die Orientierung an technischen Funktionen ist in der Farbgebung der Architektur abgebildet (Weiß für Fassaden, Gelb für Kommunikation, Rot für alle technischen Bereiche, Blau für Lüftung und Klima). [13] Die Entwürfe für das Siemens- Forschungszentrum von Bakema wurden in den Ausstellungsräumen des Kunstverein München durch Originalpläne und -zeichnungen veranschaulicht. Nicht realisiert wurde dagegen James Stirlings kühner Entwurf für das Forschungszentrum der Siemens AG. [14] Angesichts der ebenfalls weißen Architektur Neuperlachs (angelehnt an Caspar David Friedrichs Bild „Das Eismeer“, 1823/24) lässt sich leicht nachvollziehen, warum die Siemens AG in der Nachbarschaft keine Symbolarchitektur errichten konnte und wollte. [15]

1968 schrieb die BMW AG einen beschränkten Architekturwettbewerb für den Neubau eines Verwaltungszentrums im Münchner Norden aus. Der Wiener Architekt Karl Schwanzer setzte sich letzten Endes mit seinem Entwurf aus vier ineinandergreifenden Kreisen durch. In 22-facher Geschossabfolge entstand jene markante „vierzylindrige“ Form, die den Bau zu einem urbanen Wahrzeichen und zu einem Beispiel für eine sprechende Architektur machte. Als Vorteile wurden die Rundum-Orientierung des Baus genannt, seine Einbindung in die Olympialandschaft sowie die Anbindung an den Mittleren Ring. Gleichzeitig entstand auch das angeschlossene Firmen-Museum.
Das Programm des Museums wird in der firmeneigenen Broschüre von 1972 folgendermaßen beschrieben: „Das Museum wird in Verbindung mit dem Bildungszentrum zu einem Schwerpunkt des Public-Relations-Programms von BMW werden und damit ein wesentlicher Faktor in der Ausbildung und Werbung sein.“ [16]

Für große Firmen sind ihre Bauten auch immer Imageträger und bis heute ein wichtiger Bestandteil der Corporate Identity. Architektur dient immer sowohl der Nutzung, als auch der Repräsentation. [17]

Mit der Realisierung großer architektonischer Projekte und der Entwicklung der Corporate Identity verschwand allmählich auch die Utopie als ein Dispositiv von Praxis aus dem Blickfeld der DesignerInnen, ArchitektInnen und KünstlerInnen. Ihre Spuren in den komplex ineinandergreifenden Feldern des sozialen, kulturellen und ökonomischen Aufbruchs der 1960er Jahre sind heute fast nur noch in den erweiterten korporativen Strukturen erkennbar.[18]

Die Ausstellung Die Utopie des Designs im Kunstverein München versuchte, diese Zusammenhänge kritisch und in einem aktuellen Kontext der 1990er Jahre zu rekonstruieren. In kollektiver Erarbeitung mit einer Projektgruppe der AdBK München unter Holger Weh und einer theoretischen Aufarbeitung in Form eines Katalogs wurde ein umfassendes Bild des gesellschaftlichen Aufbruchs der 1960 und frühen 1970er Jahre, welcher auch das soziale Feld der Kunst grundlegend veränderte, entworfen.

Text: Theresa Bauernfeind
Recherche: Theresa Bauernfeind
Übersetzung, Lektorat: Theresa Bauernfeind, Post Brothers und Christina Maria Ruederer

Bei Fragen und Anregungen kontaktieren Sie uns gerne über archiv@kunstverein-muenchen.de.

[1] Vgl. Flyer der Ausstellung Die Utopie des Designs, Kunstverein München e.V., München 1994.
[2] Vgl. Birkigt, Klaus und Stadler, Marinus: Corporate Identity, Landsberg am Lech 1988.
[3] Otl Aicher: Die Welt als Entwurf, Berlin 1991.
[4] Vgl. Kat. Ausst. Die Utopie des Designs, Kunstverein München e.V., München 1994, Klein, Jochen: Corporate
Design, Identity and Culture.
[5] Vgl. Bürdek, Bernhard: Design. Geschichte, Theorie
und Praxis der Produktgestaltung, Basel 2005.
[6] Vgl. Kiessling, Waldemar und Babel, Florian: Corporate Identity. Strategie nachhaltiger Unternehmensführung, Regensburg 2010.
[7] Birkigt und Stadler 1988, S. 23.
(In der Literatur herrscht eine große Vielfalt und unterschiedliche Schwerpunktsetzung der Definition von Corporate Identity.)
[8] Vgl. Kat. Ausst. Die Utopie des Designs, Kunstverein München e.V., München 1994, Klein, Jochen: Corporate Design, Identity and Culture.
[9] Vgl. Kat. Ausst. Die Utopie des Designs, 1994, Kunstverein München e.V., München 1994, Draxler, Helmut: Die Utopie des Designs.
[10] Horkheimer, Max und Theodor Adorno, Theodor: Dialektik der Aufklärung, Frankfurt am Main 1972.
[11] Vgl. Flyer der Ausstellung Die Utopie des Designs, Kunstverein München e.V., München 1994.
[12] Vgl. Kat. Ausst. Die Utopie des Designs, Kunstverein München e.V., München 1994, Draxler, Helmut: Die Utopie des Designs.
[13] Vgl. Kat. Ausst. Die Utopie des Designs, Kunstverein München e.V., München 1994, Weh, Holger: Bunte Welten.
[14] Vgl. Ebd.
[15] Vgl. Ebd.
[16] Vgl. Kat. Ausst. Die Utopie des Designs, Kunstverein
München e.V., München 1994, Draxler, Helmut: Höchstleistungsdesign.
[17] Vgl. Kat. Ausst. Die Utopie des Designs, Kunstverein München e.V., München 1994, Weh, Holger: Bunte Welten. [18] Vgl. Kat. Ausst. Die Utopie des Designs, Kunstverein München e.V., München 1994, Draxler, Helmut: Die Utopie
des Designs.

Alle Abb.:
Die Utopie des Designs, 1994. Ausstellungskatalog Kunstverein München e.V., 1994. Courtesy Kunstverein München e.V.

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