Archiv Newsletter No. 5

Dezember 2018

Die sogenannten Jahresgaben gehörten neben der permanenten Ausstellung und der jährlichen Verlosung von Kunstwerken ab 1825 zu den das Erscheinungsbild des Kunstverein München bestimmenden Leistungen.
Damit alle Aktionäre einen materiellen Gewinn davontragen konnten und um neue Mitglieder zu rekrutieren, gab der Kunstverein neben Nietenblättern graphische Jahresgaben heraus. Diese wurden einmal im Jahr automatisch an sämtliche Kunstvereinsmitglieder verteilt.
Ähnlich wie der Verlosungsmechanismus geht auch die Verteilung von Jahresgaben auf ausländische Vorbilder zurück.
[1] Ausdrücklich nach Vorbild der Zürcher Künstlergesellschaft, über deren Vereinsgaben das Kunst-Blatt [2] 1824 berichtete, führte auch der Kunstverein München seine Jahresgaben ein. [3]
Die Idee einer Graphik als Vereinsgeschenk geht auf einen Vorschlag von Carl Wilhelm von Heideck zurück, ein damaliges Mitglied des Kunstverein München. Grundlage hierfür war nicht allein der Gedanke, die Mitglieder durch ein Geschenk enger an den Verein zu binden, sondern auch die Überlegung, die Architekten [4], Kupferstecher und Lithographen der Gemeinschaft zu unterstützen. In der Anfangszeit wurden für die Jahresgaben nur Arbeiten von Künstlern zugelassen, die dem Verein angehörten. Auch der für die Vervielfältigung zuständige Kupferstecher oder Lithograph musste Vereinsmitglied sein. Die Jahresgabe von 1825 stellte die Zeichnung eines Pferdestalls dar, welche der Initiator Heideck zur Verfügung gestellt hatte. Lithographiert wurde die Graphik von Friedrich Hohe. [5]

Das Konzept der Jahresgaben stieß auf das wachsende Interesse einer bürgerlichen Käuferschicht.
Christoph Behnke merkt an, dass der Besitz von Kunst in der Privatsphäre – anders als der von Kunst, die im Rahmen des höfischen Lebens repräsentative Aufgaben hatte – einer Nachfrage überhaupt erst zugänglich gemacht werden musste. Der Versuch, die Kunst in die Wohnstuben der Bürger*innen zu bringen, führte dazu, dass die Künstler [6] immer kleinere Formate abliefern mussten und auch dazu, dass Druckgraphiken aufgrund der Vervielfältigungsmöglichkeiten und Preisvorteile an Attraktivität gewannen. [7]
Die bürgerliche Gesellschaft wiederum befreite sich laut Behnke durch das selbstlose Auftreten als Mäzen in Form einer Mitgliedschaft im Kunstverein von ihrem Unbehagen in der Marktwirtschaft, konnte aber gleichzeitig nicht auf einen materiellen Gegenwert, verwirklicht durch Jahresgaben und Losgewinne, verzichten. [8]
Für die technische Reproduktion von Kunstwerken und die Entwicklung dieses Sektors sind die Kunstvereine unbestreitbar wichtige Triebkräfte gewesen. Bereits im selben Jahr, als die Erfindung der Daguerreotypie publik gemacht wurde (1839), präsentierte der Kunstverein München das neue Medium.
Walter Grasskamp stellt in Antwort auf Walter Benjamin [9] allerdings fest, dass die drucktechnischen Fortschritte keinesfalls auch eine Qualitätssteigerung im künstlerischen Wert der Vorlagen hervorgebracht hätten. Er sieht in den Jahresgaben der Kunstvereine vielmehr eine „für das 19. Jahrhundert typische Diskrepanz zwischen technischem Fortschritt und ästhetischem Beharrungsvermögen“ [10] .

Die relativ abwechslungsreichen Motive der Jahresgaben der Frühzeit wurden ab Mitte des 19. Jahrhunderts durch zunehmend trivialere Genredarstellungen abgelöst. Dies ist ein Indiz dafür, dass der Publikumsgeschmack ausschlaggebend geworden war.[11] In den 1880er und 90er Jahren verloren Graphiken zudem zusehends an Ansehen, stattdessen galten jetzt gedruckte Wiedergaben als attraktiv.
Doch noch im Jahr 1905 gewann der Kunstverein München 700 neue Aktionäre durch eine Künstlermappe mit Zeichnungen Franz von Lenbachs als Jahresgabe. [12] Dies bezeugt einerseits die Wichtigkeit der Jahresgaben für die Gewinnung neuer Mitglieder, andererseits auch den konservativen Stil dieser Vereinsgaben bis ins 20. Jahrhundert hinein.
Nach dem Zweiten Weltkrieg und nach Wiedergewinnung seiner Lizenz ging der Kunstverein München dazu über Weihnachtsausstellungen Münchner Künstler*innen zu zeigen. Ab den 1970er Jahren wurden jeweils im Dezember käuflich zu erwerbende Graphiken aus der Bildleihstelle ausgestellt. Die Verteilung von Graphiken als Geschenk an alle Mitglieder nahm man dagegen nicht wieder auf. 1975 wurde schließlich die Jahresgabenausstellung des Kunstverein München etabliert, welche in ihrer Grundform bis heute existiert.
Auch dieses Jahr können Mitglieder des Kunstverein München noch bis Sonntag, den 16. Dezember Ankäufe der sonst oft unerschwinglichen Arbeiten von in München aktiven Künstler*innen und Absolvent*innen der Münchner Akademie erwerben. Der Kunstverein München richtet den Blick derzeit auf über 80 Künstler*innen und schafft im 1.OG einen Raum für Austausch und Ideen. Dieses Jahr mit einer Szenografie von Ivo Rick sowie täglichen Screenings im Kino. Zusätzlich kuratiert Radio 80000 während der Jahresgaben für den Kunstverein München ein einzigartiges Livemusik- und Radioprogramm, das im Foyer des Kunstverein München und online täglich von 10–22 Uhr gehört werden kann.

Text: Theresa Bauernfeind
Recherche: Theresa Bauernfeind
Übersetzung, Lektorat: Theresa Bauernfeind, Post Brothers und Christina Maria Ruederer

Bei Fragen und Anregungen kontaktieren Sie uns gerne über archiv@kunstverein-muenchen.de.

[1] Vgl. Schmitz, Thomas (2001): Die deutschen Kunstvereine im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Kultur-, Konsum- und Sozialgeschichte der bildenden Kunst im bürgerlichen Zeitalter (= Deutsche Hochschuledition Band 125). Phil. Diss. Neuried, Ars Una, S. 288 f.
[2] Das Morgenblatt für gebildete Stände bzw. ab
1837 Leser ist der bedeutendste Vertreter eines neuen Zeitschriftentypus, der zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstand. Es erschien von 1807 bis 1865 in Stuttgart und Tübingen im Verlag der Cotta'schen Verlagsbuchhandlung, einem der einflussreichsten deutschen Verlage dieser Zeit. Im Laufe des Erscheinens gab es mehrere getrennt geführte, selbständige Beilagen. Eine dieser Beilagen, die für die kunsthistorische Forschung von besonderer Relevanz ist, ist das Kunst-Blatt (1816-1849). Die im Kunst- Blatt erschienenen kunsthistorischen Beiträge, deren Themen, kritische Methode und wissenschaftliches Niveau machen es zu einer einschlägigen Fachzeitschrift. Besonderer Quellenwert kommt zudem der zeitgenössischen Kunstberichterstattung zu. (Vgl.
http://morgenblatt-kunstblatt.uni-hd.de )
[3] Vgl. Akte Kunstverein München 1824, Nr. 82.
[4] Bewusst wird hier und im Folgenden auf Gendering
verzichtet, da anfangs nur männliche Mitglieder dem Kunstverein München angehörten.
[5] Vgl. Langenstein, York (1983): Der Münchner Kunstverein im 19. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Entwicklung des Kunstmarkts und des Ausstellungswesens (= Neue Schriftenreihe des Stadtarchivs München 122). Phil. Diss. München, Kommissionsverlag UNI-Druck, S. 90 f.
[6] siehe Fußnote 4.
[7] Behnke, Christoph (2001): Zur Gründungsgeschichte
deutscher Kunstvereine. In: Bernd Milla, Heike Munder (Hrsgg.), Tatort Kunstverein – Eine kritische Überprüfung eines Vermittlungsmodells. Nürnberg, Verlag für moderne Kunst: 11–22, hier S. 14.
[8] Vgl. Ebd., S. 12.
[9] Benjamin, Walter: Gesammelte Schriften. Band I, Werkausgabe Band 2, herausgegeben von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1980, S. 431–469: „Um neunzehnhundert hatte die technische Reproduktion einen Standard erreicht, auf dem sie nicht nur die Gesamtheit der überkommenen Kunstwerke zu ihrem Objekt zu machen und deren Wirkung den tiefsten Veränderungen zu unterwerfen begann, sondern sich einen eigenen Platz unter den künstlerischen Verfahrensweisen eroberte.“
[10] Grasskamp, Walter (1994): Die unbewältigte Moderne. Kunst und Öffentlichkeit. München, Verlag C. H. Beck, S. 40.
[11] Vgl. Langenstein 1983, S. 90 f. [12] Vgl. Schmitz 2001, S. 290.

Abb.: Jahresgaben von 1825, 1975 und 2018, Kunstverein München e.V.

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