Archiv Newsletter No. 4

November 2018

Nach Die Kunst ist tot. Es lebe die Maschinenkunst Tatlins und Josef Albers – Bilder und Interactions of Color schloss Direktor Reiner Kallhardt 1970 mit
Impulse Computerart eine Ausstellungsreihe [1] ab, die nicht nur auf die 'Zwei Kulturen' [2] Debatte reagierte, sondern sich auch einer seit Mitte der 1950er Jahre neu aufkommenden künstlerischen Praxis öffnete – der Computerkunst. [3] Die Ausstellung Impulse Computerart begann mit einem 'historischen Teil' [4] , der die Rechenmaschine als mechanischen Prototypen des Computers vorführte, und leitete dann zu den drei Bereichen Musik, Graphik, Film über und machte so von Anfang an auf die Vielseitigkeit der Kunstform aufmerksam. [5] Die Presse schenkte dieser Ausstellung, die mit 'knapp hundert Blätter[n]' [6] sehr umfangreich war viel Aufmerksamkeit, auch wenn die Werke mit ihrer 'exakten Ästhethik' [7] erstmal befremdlich erschienen.

Die zu diesem Zeitpunkt nicht mehr ganz neue Kunstform wurde bis Mitte der 1960er Jahre marginalisiert und innerhalb des Kunstdiskurses verwehrte man sich bis auf ein paar wenige Ausnahmen [8] einer ernsthaften kritischen Betrachtung. Eine erste von der Kunstwelt unabhängige Plattform bot das Handelsmagazin Computers and Automation [9] mit seinem ab 1963 jährlich ausgeschriebenen Wettbewerb Computer Art Contest und präsentierte erstmals Arbeiten, die mit Computern erzeugt wurden. Auch wurden darüber erste Verkäufe getätigt.

Doch die Tatsache, dass die Werke zu großem Teil von WissenschaftlerInnen, darunter MathematikerInnen,
PhysikerInnen und IngenieurInnen, und nicht von KünstlerInnen kreiert wurden und zudem computergeneriert waren, nährte den Zweifel, ob es sich dabei überhaupt um Kunst handeln dürfe. Oft waren die Arbeiten mehr Nebenprodukte wissenschaftlicher Forschung und so '[war] es oft schwer anzugeben, wann in den einzelnen Bereichen erstmals echte Beispiele der Computerkunst vorlagen.' [10] Die aktive Beteiligung von technologischen Forschungszentren, die zum Teil auch vom U.S. Militär finanziert wurden, untermauerte diese Ansicht. Vor dem Hintergrund des Kalten Krieges ging zudem von einigen KulturkritikerInnen, PhilosophInnen und Intellektuellen eine kritische Haltung gegenüber den neuen Technologien aus. [11]
Erst mit der Ausstellung Georg Nees: Computergrafik(1965) in der Studiengalerie der TH Stuttgart betrat das Medium eigenständig kulturellen Boden. Zwischen 1965 und 1972 folgten eine Reihe internationaler groß angelegter Ausstellungen, darunter die von Jasia Reichardt kuratierte Ausstellung Cybernetic Serendipity [12] (1968) am Institute of Comtemporary Art, London und Machine: As seen at the End of the Mechanical Age (1969) im Museum of Modern Art, New York, die Kurator K. G. Pontus Hultén realisierte. Doch keineswegs kann man anfänglich von einer globalen Kunstpraxis sprechen, da sie abhängig vom regionalen technologischen Fortschritt war.

Während sich bildende KünstlerInnen mit der neuen Technologie zunächst schwer taten, standen MusikerInnen und PoetInnen ihr schon recht früh offen gegenüber. Erste künstlerische Ausarbeitungen fanden sich bereits ab 1956 in der Musik. Mit der sogenannten Push-Button-Bertha (1956) [13] war die erste computergenerierte Melodie geschaffen.

Es folgte schnell die weitaus bekanntere und in der Ausstellung Impulse Computerart präsentierte Komposition Illiac Suite for String Quartett (1957). [14] Auch Pierre Barbaud‘s Französisches GAGAKU war Teil der Schau. [15] Diese Komposition wurde für 30 Saiteninstrumente programmiert und jedes einzelne spielte unabhängig vom anderen fünf Noten in Folge, was zu einem musikalischen Aufbau aus 150 verschiedenen Phasen führte.

Fast zeitgleich begann Theo T. Lutz ab 1959 mit stochastischen Texten zu experimentieren und widmete sich damit der computergenerierten Poesie. Auch William Emmet erzeugte früh digitale Gedichte. Ein Hauptaugenmerk wurde auf die ästhetische Funktion von automatisierten Texten gelegt. Die Generierung der Sprache ist bis heute eine der großen Herausforderungen der künstlichen Intelligenz. Um erste Sinnzusammenhänge herzustellen, wählte der Computer, dem ein Repertoire aus unterschiedlichen Wortgattungen zur Verfügung stand, aus dem Assoziativfeld eines bestimmten Begriffs aus.
Die ausgestellten Arbeiten waren in der Ausstellung Impulse Computerart mehr als 'experimentelles Material und nicht als fertige Ergebnisse' [16] anzusehen, die 'sprachliche Ordnung zerstören oder umstrukturieren'[17], wie innerhalb der konkreten Poesie-Graphik des Künstlers Marc Adrian (siehe Abb.) oder Alan Sutcliffe. Diese Praxis wurde in der Ausstellung Impulse Computerart im Kunstverein München dem umfangreichsten Bereich Graphik zugeordnet. [18] KünstlerInnen wie die Computer Technique Group (CTG) aus Japan entwickelte aus den Graphiken erste digitale Bewegtbilder. Sie sind in der Ausstellung in den Bereichen Graphik und Film [19] vertreten.

Bis in die späten 1960er Jahre fanden sich innerhalb der Computerkunst mehrheitlich Computergraphiken. [20] Im Naturkundemuseum Sanford Museum, Cherokee (Iowa) wurden bereits 1953 die Electronic Abstractions von Ben F. Laposky gezeigt, die er mit Hilfe eines Analogrechensystems entworfen und auf dem Bildschirm eines Kathodenstrahloszillographen sichtbar gemacht hatte. Mit sieben seiner 'Oscillone' war Laposky auch im Kunstverein München vertreten. Zwölf weitere Jahre dauerte es, bis Computergraphiken aus digitalen Großrechnern [21], meist durch ein Plotterverfahren, in die Kunstinstitutionen einzogen. Nach der Präsentation der Arbeiten von Georg Nees 1965 in Stuttgart folgten schnell weitere.

A. Michael Noll, damaliger Ingenieur der Firma Bell Labs nutzte die neue Technologie als Erster mit ästhetischen Absichten und orientierte sich dabei an zeitgenössischen Kunstwerken, ahmte sie teilweise auch nach. Bekanntheit erlangte er mit seinem Mondrian-Experiment und gewann damit den ersten Preis des Computer Art Contest. Darin ließ er Mondrians Composition in Line (1917/18) von einem Computer erzeugen und es entstand die Arbeit Computer Composition with Lines (1965). In einer Umfrage hielten KollegInnen von Noll die computergenerierte Arbeit für das Original. Noll erklärte es sich damit, dass die BetrachterInnen die Zufälligkeit der computergenerierten Graphik für menschliche Kreativität hielten und ihnen die geordnete, entschiedene Liniensetzung des Künstlers maschinell erschien. [22]

Mit dem Aufkommen von Künstlicher Intelligenz [23] schien der Mensch als schaffendes Wesen in Bedrängnis zu geraten. Fragen nach der Autorschaft und die damit verbundene Verlustangst der Kreativität erschwerten die Akzeptanz des Genres. Das Mondrian-Experiment führt dieses Dilemma vor. Der Computer übernahm nun Fähigkeiten, die bis dato alleine KünstlerInnen vorbehalten waren und forderte innerhalb des Mensch-Maschinen-Paradigmas die Rolle der KünsterInnen neu heraus. Man darf also behaupten, dass WissenschaftlerInnen zur Neudefinition des Künstlerbegriffs beitrugen, also mit dem Beginn der Computerkunst die Auflösung der vermeintlichen Antagonismen zwischen Wissenschaft und Kunst initiierten.

Text: Christina Maria Ruederer
Recherche: Christina Maria Ruederer
Übersetzung, Lektorat: Theresa Bauernfeind und Christina Maria Ruederer

Bei Fragen und Anregungen kontaktieren Sie uns gerne über archiv@kunstverein-muenchen.de.

[1] Die Ausstellungsreihe begann mit Die Kunst ist tot. Es lebe die Maschinenkunst Tatlins von 22.1. bis 8.3.1970, gefolgt von Josef Albers – Bilder und Interactions of Color, von 13.3. – 19.4.1970 und fand ihr Ende mit der von 8.5. bis 7.6.1970 gezeigten Ausstellung Impulse Computerart und schuf einen Reflexionsraum darüber, inwiefern Wissenschaft und Kunst ineinandergreifen.
[2] Der Begriff 'Zwei Kulturen' geht auf den Vortrag The Two Cultures von C.P. Snow aus dem Jahr 1959 in der Cambridge University zurück. Darin machte der Wissenschaftler und Schriftsteller auf die Dichotomie von Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften aufmerksam und initiierte damit eine langanhaltende Debatte, die in den 1960er Jahren ihren Höhepunkt erreichte.
[3] Der negativ konnotierte und nur noch in wenigen Bereichen verwendete Begriff Computerkunst wurde bald innerhalb des Kunstdiskurses von den Begriffen Digitale Kunst oder Medienkunst abgelöst. In Bezug auf den vorliegenden Text, der sich den Anfängen dieser Kunstform widmet, scheint es sinnvoll von Computerkunst zu sprechen. Vgl. dazu auch Peter Weibel: Digital Art: Intrusion or Inclusion? in: A little known story about a Movement, a Magazine, and the computer ́s arrival in art: New Tendencies and Bit International, 1961 – 1973, The MIT Press, Cambridge, 2007.
[4] Impulse Computerart, Kunstverein München e.V., Kat. Ausst., Kunstverein München, 1970, S. 3.
[5] Vgl. dazu: Impulse Computerart, Kunstverein München e.V., Kat. Ausst., Kunstverein München, 1970, S.3.
[6] Lässt sich nicht von Mona Lisa verführen, in: Münchner Merkur vom 22.5.1970, München, 1970.
[7] Längsfeld, Wolfgang: Kunst aus Maschinen,
in: Süddeutsche Zeitung vom 25.5.1970, München, 1970.
[8] Der Künstler und Kunsttheoretiker György Kepes versuchte beispielsweise mit dem lange ungeachtet gebliebenen Buch The New Lanscape in Art and
Science (1956) der Zurückhaltung gegenüber der Vermischung von Kunst und Wissenschaft entgegen zu wirken. Die erste Kritik wurde von Arnold Rockman in der Canadian Art 1964 veröffentlicht. Herbert W. Franke schaffte mit Computer Graphics – Computer Art (1971) eine tiefgründigere Auseinandersetzung mit Computerkunst. Auch im Ausstellungskatalog Impulse Computerart (1970) erschien ein Text von ihm.
[9] Das Magazin Computers and Automation wurde 1951– 1978 von Edmund C. Berkeley herausgegeben. Es war das erste Magazin, das sich Entwicklungen der Computertechnologie und Software widmete.
[10] Franke, Herbert W.: Computerkunst, in: Impulse Computerart, Kunstverein München e.V., Kat. Ausst., Kunstverein München, 1970, S.17-19.
[11] Wie z.B. Marshall Mc Luhan ́s Understanding Media: The Extensions of Man (1964), Herbert Marcuse ́s
Aufsatz Some Social Implications of Modern Technology (1941) und Jaques Ellul ́s La Technique ou l ́enjui du siècle (1954).
[12] Die Ausstellung Cybernetic Serendipity wanderte im Anschluss an die Corcoran Gallery of Art, Washington, D.C. und das Exploratorium in San Francisco.
art was published in Canadian Art in 1964. With Computer Graphics - Computer Art (1971), Herbert W. Franke created his first profound examination of computer art. A text by him also appeared in the exhibition catalogue Impulse Computerart (1970).
[9] The magazine Computers and Automation was published from 1951–1978 by Edmund C. Berkeley. It was the first magazine devoted to developments in computer technology and software.
[10] Franke, Herbert W.: Computerkunst, in: Impulse Computerart, Kunstverein München e.V., exhibition catalogue, Kunstverein München, 1970, p.17–19.
[11] Such as Marshall McLuhan's Understanding Media: The Extensions of Man (1964), Herbert Marcuse's essay Some Social Implications of Modern Technology (1941) and Jaques Ellul's La Technique ou l'enjui du siècle (1954).
[12] The exhibition Cybernetic Serendipity traveled to the Corcoran Gallery of Art, Washington, D.C. and the Exploratory in San Francisco.
[13] Push-Button-Bertha wurde 1956 von den Mathematikern Martin Klein und Douglas Bolitho in den USA aus einem Datatron der US-amerikanischen
Firma Burroughs Corporation programmiert.
[14] Die Illiac Suite for String Quartett, komponiert 1956 von Lejaren A. Hiller und Leonard Isaacson, wurde im gleichen Jahr an der Universität von Illinois uraufgeführt.
[15] Für den Bereich Musik waren folgende KünstlerInnen in Impulse Computeart (1970) vertreten: Pierre Barbaud, Herbert Brüh, Pietro Grossi, Lejaren A. Hiller, Max V. Mathews, Lambert Meertens, J.K. Randall, Arthur Roberts und Gerald Strang.
[16] Franke, Herbert W.: Computerkunst, in: Impulse Computerart, Kunstverein München e.V., Kat. Ausst., Kunstverein München, 1970, S.17- 19, hier S. 17.
[17] ebd.
[18] Für den Bereich Graphik waren folgende KünstlerInnen in Impulse Computerart (1970) vertreten: Marc Adrian, Kurd Alsleben, Otto Beckmann, Alfred Graßl, Jack P. Citron, Compro, Computer Technique Group (CTG), William A. Fetter, Dr. Herbert W. Franke, Dr. Roland Fuchshuber, Kenneth C. Knowlton, Peter Kreis, Dick Land, Ben F. Laposky, Leslie Mezei, Motif Edition, London, John C. Mott-Smith, Dr. Frieder Nake, Dr. Georg Nees, A. Michael Noll, Duane M. Palyka, H. Philip Peterson, Richard C. Raymond, Len Sacon, Dr. Manfred R. Schroeder, Alan Sutcliffe und die Univac Computer Graphics Group.
[19] Für den Bereich Film waren folgende KünstlerInnen in Impulse Computerart (1970) vertreten: Lutz
Becker; Computer Technique Group, Japan (CTG); Georg Nees; A. Michael Noll; Duane Palyka und John J. Whitney.
[20] Der Begriff 'Computergraphik' (engl. Computer Graphic) geht auf William A. Fetter (damaliger Supervisor bei 'The Boeing Company') zurück und beschrieb ab 1960 computergenerierte Graphiken.
[21] Der Großteil der digitalen Kunst der 1960er Jahre wurde mit einem IBM Rechner erzeugt. Die Firma IBM war zu dieser Zeit Markführer was Großrechner anbelangte.
[22] Taylor, Grant D.: When the machine made art. The troubled history of Computer Art, Bloomsbury Publishing, New York 2014, S. 62.
[23] Der Begriff Künstliche Intelligenz (kurz K.I.) aus
dem Englischen Artificial Intelligence (kurz A.I.) tauchte erstmals in einem Förderantrag für das Forschungsprojekt A Proposal for the Dartmouth Summer Research Project on Artificial Intelligence von John McCarthy an die Rockefeller Foundation im August 1955 auf.

Abb.: Impulse Computerart, Kunstverein München 1970, Kat. Ausst., Courtesy Kunstverein München e.V.

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