Archiv Newsletter No. 3.2
Oktober 2018
Nachdem der Kunstverein München bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an Bedeutung verloren hatte, musste er sich spätestens nach den beiden Weltkriegen neu finden.
Erst in den 1960er Jahren gelang es dem Kunstverein München, sich zu revitalisieren, „[...] weil nun in öffentlicher Debatte statt durch internen Klüngel über das Ausstellungsprogramm gerichtet und damit ein Stück verlorengegangener, politischer Öffentlichkeit wieder zurückgewonnen wurde.“ [1]
Damit einher gingen auch vermehrte Kooperationen mit der Akademie der Bildenden Künste München. Der öffentlichen Debatte stellte sich in München der neue Geschäftsführer Reiner Kallhardt mit einer Kooperation mit der Akademie. 1968 waren die Studentenproteste an der Akademie eskaliert, so dass diese am 20. Januar 1969 durch das Kultusministerium vorübergehend geschlossen wurde. Nach der Schließung der Akademie zeigten die Student*innen schließlich im Kunstverein die Ausstellung Die herrschende Ästhetik ist die Ästhetik der Herrschenden als Antwort auf die Vorgänge in der Akademie. Sie war als Ergänzung zur Ausstellung Verändert die Welt! Poesie muss von allen gemacht werden! (1970) entwickelt worden. Diese widmete sich der russischen Revolutionskunst sowie des Surrealismus unter dem Eindruck des Pariser Mai im Jahr 1968. Bevor der Kunstverein München diese Ausstellung als erste deutsche Station übernahm, wurde sie im Moderna Museet in Stockholm gezeigt. Kallhardt lud im Zuge der Ausstellung Akademiestudent*innen zu einer öffentlichen Diskussion ein. Das Kultusministerium strich in Antwort darauf die staatlichen Zuschüsse für den Kunstverein und verlangte die Schließung der Ausstellung. Kallhardt musste von seinem Amt zurücktreten und der Skandal beschäftigte deutschlandweit die Presse.[2]
In den folgenden Jahren etablierte sich eine Beziehung zwischen Kunstverein und Akademie, die von wechselnden Direktor*innen weitergeführt wurde. Besonders Wolfgang Jean Stock förderte ab 1978 neben internationalen Positionen die junge Kunst in München und erweiterte die Zusammenarbeit mit der Akademie. Zur 175-Jahr-Feier der Münchner Akademie zeigte der Kunstverein München 1983 die Ausstellung Junge Akademie. Hans Baschang und seine Klasse.
Zdenek Felix, der 1985 Direktor des Kunstvereins wurde, legte den Schwerpunkt seiner Ausstellungstätigkeit auf internationale aktuelle Malerei. In seinem Ausstellungsprogramm waren allerdings mit Daniel Spoerri (1986), Nikolaus Gerhart (1987), Axel Kasseböhmer (1990), Günther Förg (1992) und Gerhard Merz (1986) auch Professoren der Akademie vertreten.
Auch Helmut Draxler pflegte von 1992 bis 1995 ein enges Verhältnis zur Akademie und der lokalen Kunstszene. Während der Sommerakademie. Eine freie Akademie auf Zeit von Stephan Dillemuth im Juni 1994 diskutierten Gruppen der Akademien Düsseldorf, Berlin, Wien und München in mehr als 40 Veranstaltungen über ihre Ausbildungssituation, zeigten eigene Projekte und besuchten theoretische Vorträge sowie Präsentationen anderer Künstler_innen wie Four Walls.[3]
„Der Begriff „Akademie“ sollte von seinen institutionellen Zwängen, den Nöten des allgegenwärtigen Meisterklassensystems befreit und durch selbstorganisierte Projekte, Präsentationen und einen regen Austausch mit Leuten aus anderen Akademien ersetzt werden. Es ging in erster Linie um Anwesenheit, aber auch darum, die Hierarchie zwischen LehrerInnen und SchülerInnen weitgehend aufzuheben, alle Anwesenden sollten gleichzeitig ProduzentInnen und Publikum sein.“ [4]
Der enge Austausch zwischen Kunstverein und Akademie wurde auch in den letzten Jahren stetig fortgeführt. Anlässlich der Ausstellungen Motion von Karel Martens und Reclaimed Empire von Adam Putnam (2017) präsentierte der Kunstverein München Quality Time, eine Reihe von Veranstaltungen und Interventionen von Studierenden der Klasse Olaf Nicolai und Gästen. Der Kunstverein München zeigte mit Motion eine umfangreiche und vielschichtige Überblicksausstellung des Künstlers, Typografen, Grafikdesigners und Lehrers Karel Martens, welche sich über das Treppenhaus und drei Ausstellungsräume erstreckte und von Veranstaltungen in Amsterdam, Paris, Vilnius und New York begleitet wurde. Reclaimed Empire von Adam Putnam, eine Videoarbeit aus 81 Videofragmenten mit Ton, welche sich mit der Zeit inkorporieren, wurde im Kino präsentiert.
Die Künstler*innen der Akademie antworteten mit ihren Arbeiten direkt auf die beiden im Kunstverein gezeigten Ausstellungen und das innerhalb dieser Ausstellungsräume. Ohne vorgeschriebenes Format oder Funktion konnten ihre Ideen innerhalb oder außerhalb der physischen Räumlichkeiten des Kunstvereins, während der Öffnungszeiten oder bei Abendveranstaltungen präsentiert werden. Im Kunstverein entstand eine Flut von Installationen, Vorträgen, Screenings, Performances und anderen Interventionen, welche an diversen Orten im Kunstverein gezeigt wurden, aber auch im Internet und über Lautsprecher auf einem Boot vor der Akademie übertragen wurden. Ziel des Projekts war es, jungen Künstler*innen, welche sich in der Ausbildung befinden, eine Plattform für die Auseinandersetzung mit anderen künstlerischen Arbeiten zur Verfügung zu stellen, die über das Diskutieren einer Ausstellung hinausgeht. Quality Time sollte als Modell dienen, wie eine Institution, die Werke von Künstler*innen ausstellt, mit einer anderen Institution, welche Künstler*innen in ihrer Entwicklung unterstützt, zusammenarbeiten kann. Dabei sollten auch Hierarchien aufgelöst werden und der Ausstellungsraum für künstlerische Antworten geöffnet werden. Im Verlauf der zweimonatigen Ausstellungsdauer entwickelte sich eine gleichnamige Publikation, welche alle Interventionen dokumentiert und die unterschiedlichen Herangehensweisen der Künstler*innen aufgreift.
Der gegenseitige Austausch beider Institutionen besteht seit ihrer Gründungszeit und wird bis heute aktiv aufrechterhalten. Auch sind die Besuche der jährlichen Diplomausstellungen im Frühjahr und der Jahresausstellung im Sommer fester und beliebter Bestandteil des Mitgliederprogramms des Kunstverein München.
Text: Theresa Bauernfeind, Christina Maria Ruederer
Recherche: Theresa Bauernfeind, Christina Maria Ruederer
Übersetzung, Lektorat: Theresa Bauernfeind und Christina Maria Ruederer
Bei Fragen und Anregungen kontaktieren Sie uns gerne über archiv@kunstverein-muenchen.de.
[1] Vgl. Walter Grasskamp: Die unbewältigte Moderne. Kunst und Öffentlichkeit, München 1994, S. 126 f.
[2] Vgl. Walter Grasskamp: Konkurrenten und Partner . Kunstverein und Kunstakademie in München, in: Maria Lind, Søren Grammel, Katharina Schlieben, Judith Schwarzbart, Ana Paula Cohen, Julienne Lorz, Tessa Praun (Hrsgg.): Spring Fall 02 04. Gesammelte Drucksachen, Frankfurt am Main 2004, S. 36–51.
[3] Vgl. Helmut Draxler und Hedwig Saxenhuber: (Re-)politisierung und kuratorische Produktion, in: Bernd Milla, Heike Munder (Hrsgg.): Tatort Kunstverein. Eine kritische Überprüfung eines Vermittlungsmodells, Nürnberg 2001, S.39–46, hier: S. 43.
[4] Ebd.
Abb.:
- Verändert die Welt! Poesie muß von allen gemacht werden!, 1970. Installationsansichten Kunstverein München e.V., 1970.
- Sommerakademie / Stephan Dillemuth, 1994. Installationsansichten Kunstverein München e.V., 1994.