Archiv Newsletter No. 14
April 2025
Die Theoretikerin und Kuratorin Doreen Mende im Gespräch mit Maurin Dietrich und Gloria Hasnay, Direktorin und Kuratorin des Kunstvereins, über die Subjektivität der Institution und ihres Archivs.
The Archive as ... a Recording Device
Maurin Dietrich In den vergangenen drei Jahren haben wir begonnen, die Fährten der Überlieferung nachzuzeichnen und das Archiv des Kunstvereins zu befragen. Auch um im Heute anzukommen und von hier aus einen Blick in die Zukunft zu werfen. Warum überhaupt archivieren an Kunstvereinen? Und von was genau sprechen wir eigentlich, wenn wir von einem Archiv im Kontext der Kunstvereinsgeschichte in München sprechen? Ist es nicht das immer Aktuelle, ungesichert Zeitgenössische, beinahe Ahistorische, das die Kunstvereine im Spannungsfeld mit anderen Institutionsformen wie Museen und ihren Sammlungen definiert?
Doreen Mende Im Unterschied zu Museen haben Kunstvereine keine klassische Sammlung von Kunstwerken, die den Kriterien eines institutionellen Sammlungsauftrags als chronologische Geschichtsschreibung folgen. Beim Sammeln entscheidet die Subjektivität, die oft auch kollektiv sein kann und die sich an einem kunsthistorischen Kanon orientiert beziehungsweise mit ihrer zukünftigen Kanonwerdung spekuliert. Bei einem Kunstverein lässt sich Geschichtsschreibung nicht am Wert der Sammlung messen. Vielmehr gibt das Archiv Auskunft über die Bedingungen der Institutionalisierung ohne Eigentumsanspruch. Das Archivieren folgt einem anderen Prozess: Anhand von Dokumenten sind einerseits die Arbeitsökonomien der Akteur*innen (Direktor*in, Kurator*in, Künstler*in, Assistent*in, Buchhalter*in, Vorstand, usw.) zu erkennen. Andererseits lassen sich die Produktionsbedingungen der Ausstellungspraxis als Infrastrukturen künstlerischen sowie kuratorischen Handelns ablesen. In einer Kunstinstitution – hierbei unterscheiden sich Museum und Kunstverein kaum – würde ich beim Archivieren deshalb von der Subjektivität der Institution selbst sprechen, die aus einem Netzwerk von Aktivitäten im Sinne der Kunst entsteht: Korrespondenzen, Versicherungspolicen, Vertragsentwürfe, Rechnungen, Design-Entwürfe, Aufnahmen oder Transkriptionen von Gesprächen wie unseren, Projektskizzen, Sitzungsprotokollen, Krankmeldungen, Einladungskarten, Zeitungsberichten – also Paratexte der Kunst, die ein archivarisches sowie auch nicht-hierarchisches Gebilde ergeben. Damit geht das Archiv über die öffentliche Sichtbarkeit des Kunstwerks bzw. der Ausstellung hinaus.
MD Mit dem Begriff der Subjektivität einer Institution hast du einen Unterschied erläutert zwischen einer Sammlung, welche durch eine (potenziell kollektive) Subjektivität entsteht und einem Archiv, welches selbst die Subjektivität der Institution verkörpert. Kannst du das noch weiter ausführen?
DM Das Archivieren hat die Kapazität, eine instituierende ("instituting") Subjektivität hervorzubringen, die immer auch eine kollektive und kollaborative beziehungsweise auch eine konfliktreiche ist. Auf jeden Fall wird klar, dass eine Institution wie der Kunstverein in gesellschaftliche Kontexte eingebettet ist. Nehmen wir an, das Archiv wäre ein Aufnahmegerät: aber nicht nur ein Aufnehmen von Protokollen, den hard facts oder Dokumenten, sondern auch von Übertragungslücken, dem Gemurmel im Hintergrund, dem Unleserlichen, Poetiken des Alltags in Formen einer Randnotiz oder einer Telefonnummer ohne Anschluss oder einer undokumentierten Erinnerung. Es bringt nicht nur das zusammen, was ausschließlich dem Sagbaren zugeordnet werden kann – wie es Michel Foucault noch als Archivtheorie des 20. Jahrhunderts beschrieb –, sondern im Archiv finden sich auch Einschreibungen, die im Moment des Sammelns eine enorme Relevanz haben, jedoch für die Ausstellung bewusst verschwiegen, ausgelassen oder verletzlich sind, öffentlich zu werden. Oder andersherum, Einschreibungen, die zum Zeitpunkt des Archivierens fälschlicherweise eine geringere Bedeutung zu haben scheinen, deren enormer Wissensgehalt erst in einem späteren Moment als „kritischpoetischer Virus“[1] – wie es die Philosophin, Psychoanalytikerin und Kulturwissenschaftlerin Suely Rolnik beschrieb – zum Vorschein kommen können. Wir können einen solchen Virus, wenn wir ihn mit Rolnik denken, so verstehen, dass er eine „unbewusste Verdrängung“ in sich trägt; er „ist [nicht nur] in die Erinnerung der in den von der herrschenden Kultur besetzen Regionen lebenden Körper eingeschrieben, sondern auch die Erinnerung an das Erlebnis dieser Artikulation, die darauf wartet, die richtigen Bedingungen zu finden, um sich zu reaktivieren und aus ihrer Beschränkung auszubrechen.“[2] Dieser Denkansatz stellt die Autorität über das Wissen auf den Kopf: Weder die Direktorin noch der "archon" entscheiden, welche Narrative des Archivs reaktiviert werden. Stattdessen aktiviert der „kritisch-poetische Virus“ die eigenen Kräfte des Archivs, um den Wirt – den wir innerhalb oder in der Nähe des institutionellen Körpers verorten können – zu mobilisieren und, epistemisch gesprochen, zu „infizieren“. Mit anderen Worten: Die Arbeit mit dem Archiv ist mit den Bedingungen sozialer Prozesse verbunden, durch welche Para- und Infrastrukturen des Vereins sichtbar werden.
Eure Arbeit am Archiv des Kunstvereins, das sowohl durch künstlerische als auch kuratorische Mittel von euch bzw. in Zusammenarbeit mit euren Archivar*innen Johanna Klingler und Jonas von Lenthe aufgearbeitet wird, erscheint mir ähnlich der Erforschung einer Subjektivität der Institution. Eure Initiative, einen Archivraum als aktiven Ort der Institution einzurichten, macht die Prozesshaftigkeit des Archivs deutlich. Ich bin daran interessiert, warum es genau jetzt „die richtigen Bedingungen“ für dieses Archiv-Virus gibt – die Sichtbarmachung in Bewegung zu setzen? In diesem Prozess wird Geschichte, erstens, als unvollendeter Prozess anerkannt, so wie es Okwui Enwezor mit The Short Century. Unabhängigkeits- und Befreiungsbewegungen in Afrika 1945–1994 im Münchner Museum Villa Stuck im Jahr 2001 als postkoloniale Konstellation auch und gerade von europäischen Museen einforderte. Im Kontext der 200-jährigen Geschichte des Kunstverein München geht es zudem, zweitens, um „accountability" der institutionellen Subjektivität. „Accountability" wäre mit „Verantwortung“, aber auch mit „Haftung“ im Sinne „zur Rechenschaft gezogen zu werden“ zu übersetzen, oder auch als Fähigkeit, eine Antwort („response") geben zu können: auf die Gewalt der Deutungshoheit, die Ignoranz, die strukturellen Rassismen und Faschismen, welche im Archiv fast einer jeden bürgerschaftlichen Institution in Europa zu finden sind. Warum wird gerade in diesem Moment die „account-ability" des Kunstvereins wichtig? Warum gibt es jetzt die „richtigen Bedingungen“ dafür? Wäre das ein Prozess der De/Re-Institutionalisierung?
Gloria Hasnay Ein Archiv steht immer auch für eine spezifische Form der Realitätsbildung, die von nur wenigen bestimmt und geleitet wird. Dadurch ergibt sich automatisch ein Machtgefüge zwischen dem, was bewahrt wird und was nicht. Die gegenwärtige archivarische Praxis ist zutiefst ambivalent gegenüber der Rhetorik von Wahrheit und Authentizität, also dem vermeintlich „Realen“. In diesem Kontext setzt sich die Konstruktion „des Realen“ aus dem Spannungsverhältnis zwischen Repräsentation und Produktion, zwischen Öffentlichem und Privatem, zwischen Objektivem und Subjektivem zusammen.[3] Was also, wenn Archive – unbewusst oder bewusst – gegen etwas oder jemanden arbeiten?
DM Richtigerweise wird die dem Archiv inhärente Macht und Gewalt immer wieder kritisiert. Der Archivbegriff hat sich Ende des 20. Jahrhunderts jedoch stark verändert. Du sprichst dabei eine, wie ich finde, wichtige Fähigkeit des Archivs an: sowohl als auch. Das Archiv ist immer ein Spannungsverhältnis von Gegensätzen. Es ist nicht möglich, ein Archiv auszustellen. Es sind immer nur Ausschnitte sichtbar („exhibition"), während andere unsichtbar bleiben („inhibition") oder für welche die „richtigen Bedingungen“ entweder bereits geschaffen wurden oder noch werden. Mit dieser Eigenschaft ist eine Konstellation verschiedener Praxisformen verbunden, die im Archiv eine Vielzahl von Netzwerken erzeugen.
MD Diese Konstellation verschiedener Praxisformen fasst die letzten drei Jahre Archivarbeit treffend zusammen. Du hast dich vorhin auf die Arbeit von Akteur*innen, deren Präsenz sich erst im Archiv ablesen lässt, bezogen. Es ist ein sehr positivistischer Gedanke des Archivs, dass ihnen dort eine Sichtbarkeit zuteil wird. Das Archiv ist aber „[...] zunächst das Gesetz dessen, was gesagt werden kann [...]“[4], schrieb Foucault 1969. Du beziehst dich in deinem Text The Undutiful Daughter’s Concept of Archival Metabolism darauf und stellst im Anschluss einige Fragen: Was, wenn das, was sich weigert, vergessen zu werden, der Sprache entkommt? Oder was, wenn es eine Sprache spricht, die das System des Gesetzes nicht anerkennt? Du fragst, wie mit all dem umzugehen ist „was nicht gesagt werden kann“ und dessen Widerständigkeit.[5] Daran anschließend stellt sich für mich die Frage, wie sich überhaupt Sprachlosigkeit im Archiv niederschlägt oder sichtbar wird, wenn wir es doch mit Dokumenten zu tun haben, die auf Sprache, Zahlen oder Zeichen basieren. Ist es dann nur das Fehlende, was sich im Verhältnis zu etwas Existierendem zeigt? Oder anders gefragt: „Hilft“ uns das Archiv beim Erinnern oder trägt es zum Vergessen bei?
DM Deine Kritik am positivistischen Gedanken ist ein wichtiger Punkt, denn das Archiv ist natürlich kein Allheilmittel. Es kann weder die Leerstellen ausfüllen, als ob es nie die Gewalt der Auslassung gegeben hätte, noch kann es Versäumtes nachholen. Mit der Idee des „Archival Metabolism" habe ich in den letzten Jahren versucht, der asynchronen Gleichzeitigkeit von Gegensätzen im Archiv beizukommen. Meine Überlegungen dafür sind von zwei Dingen geprägt: erstens, die Arbeit mit nicht-institutionellen Archiven aufgrund der Absenz ihrer Inhalte (in Form des „historischen Wissens“) in Museen, Universitäten und Bibliotheken.[6] Zweitens, die Situierung des Archivs in Bezug auf politisch-systemische Brüche, wie sie um 1990 weltweit stattgefunden haben. Hierbei interessiert mich weder ein Wettstreit zwischen dem institutionellen und nicht-institutionellen Archiv noch geht es um die Möglichkeit einer Korrektur oder Vervollständigung einer historischen Geschichte. Vielmehr ist mir klar geworden, dass die Aktivierung eines Archivs in der Gegenwart nicht durch eine Copy-Paste-Praxis von Versatzstücken der Vergangenheit in der Gegenwart entsteht. So sehr wir die „Geschichtsstunde“ benötigen, in der es um genaueste Rekonstruktionen historischer Momente anhand von Fakten, Daten und Dokumenten gehen muss, so sehr unterliegt das Archiv selbst den Herausforderungen transgenerationaler Übertragungen. Der „Archival Metabolism" versucht, den transgenerationalen Transfer, der von Missverständnissen, unterschiedlichen Sprachen und Begriffen, Dekontextualisierungen, Nichtübersetzbarkeiten sowie Sprachlosigkeiten geprägt ist, als Teil eines transhistorischen Wissensprozesses anzuerkennen. Insofern steht das Erinnern nicht in Konkurrenz zum Vergessen, sondern ist ein Erinnern der Vergessenheit – ein verflochtener Prozess.
GH Als wir am Kunstverein angefangen haben, war uns bewusst, dass es ein „vor uns“, aber eben auch ein „nach uns“ gibt. Im Gespräch mit den verschiedenen Autor*innen dieser Publikation, aber auch ehemaligen Mitarbeiter*innen, kamen wir immer wieder zu dem Punkt, dass etwas im Moment der Veröffentlichung trotzdem keineswegs als abgeschlossen gelten kann. Es ist eine Bestandsaufnahme, ein Zwischenstand in all seiner ephemeren Form. Unser Blick auf das Archiv verändert sich stetig, wenn wir neue Dokumente finden oder neue Personen dazustoßen. Was unserer Arbeit hier, aber auch unserem kuratorischen Interesse allgemein entspricht, ist, wie sich eine Institution mit all ihren paratextuellen sowie infrastrukturellen Elementen konstituiert und damit weit über ihr eigentliches öffentliches Programm hinausgeht. Wo sind wir situiert und wer arbeitet innerhalb dieser Strukturen? Wie kann man etwas dekonstruieren und wo ist das vielleicht schon mal passiert? Deswegen schauen wir uns immer wieder die zurückliegenden Momente der Politisierung und Rekonfigurationen in der Geschichte des Kunstvereins an, da sie Auskunft über eine Form des institution building geben. Ein Beispiel dafür ist die Ausstellung Verändert die Welt! Poesie muß von allen gemacht werden!, die 1970 vom Kunstverein gemeinsam mit Studierenden der Akademie der Bildenden Künste München organisiert wurde. Mit dem Projekt wurde öffentlichkeitswirksam der Umgang mit Personal, das nach dem Zweiten Weltkrieg beinahe nahtlos an der Akademie sowie an anderen Hochschulen weiterbeschäftigt wurde, kritisiert.[7] Ein jüngeres Beispiel für eine Politisierung des Kunstvereins ist die Ausstellung No River to Cross (2021) von Bea Schlingelhoff, in deren Zusammenhang auch eine außerordentliche Mitgliederversammlung einberufen wurde, um eine von der Künstlerin vorgeschlagene Satzungsänderung zu verhandeln.[8]
Als sinnvoller gedanklicher Rahmen, um über die angestrebte Methode der Archivarbeit am Kunstverein nachzudenken, erscheint auch Trinh T. Minh-has Konzept des „speaking nearby“ anstatt eines „speaking for“ oder „speaking about“.[9] Wir möchten nicht über die Geschichte und ihre Akteur*innen sprechen, sondern mit ihnen, neben ihnen. Die Erzählung soll abgegeben werden, wodurch wiederum die eigene Position (und Subjektivität) gegenüber dem, worüber gesprochen und was gesammelt wird, offenbart und zugleich problematisiert wird.
DM Die Potenzialität des Archivs ist nie erschöpft, wenn wir uns davon verabschieden, im Archiv ausschließlich das Dokument als Beweisstück zu suchen. Denn wir werden oft nicht fündig, während es „potenzielle Geschichten“ dennoch in Fülle gibt [10]. Könnte man Indizien dafür finden, ob das Programm des Kunstvereins beispielsweise die Aufteilung des Afrikanischen Kontinents im Rahmen der kolonialen Berlin Konferenz von 1884/85 unter Leitung von Otto von Bismarck mit 13 weiteren Vertretern imperialer Staaten beziehungsweise Großmächte reflektiert hat? Spiegelt sich die Gründung der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland 1986 im Archiv in irgendeiner Form wider? Wie spricht das Archiv des Kunstverein München zur Auflösung der DDR um 1990? Flüstert das Archiv an den Rändern darüber?
Eine längere Version des Gesprächs erschien 2023 in der Jubiläumspublikation FOR NOW – 200 Jahre Kunstverein München.
Doreen Mende ist Kuratorin, Theoretikerin und Leiterin der Forschungsabteilung an den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Seit 2015 ist sie assoziierte Professorin am Fachbereich Bildende Kunst der HEAD Genève in der Schweiz, wo sie das Projekt Decolonizing Socialism Entangled Internationalism (2019-2024), gefördert vom Schweizerischen Nationalfonds, in Zusammenarbeit mit blaxTARLINES in Ghana, Oralities Research Lab in Indien, Van AbbeMuseum in den Niederlanden u.a. durchführte. Sie ist Mitherausgeberin von Navigation Beyond Vision (mit Tom Holert und e-flux Journal) und hat zahlreiche wissenschaftliche und essayistische Artikel mit Sternberg Press, MIT Press, e-flux Journal, The Oxford Handbook for Communist Visual Cultures, Bloomsbury Publishing, Jerusalem Quarterly, Archive Books und spector books veröffentlicht. Sie ist Gründungsmitglied des Harun Farocki Instituts in Berlin.
Fußnoten
[1] Suely Rolnik, „Archivmanie“, in: Rolnik, 100 Notes – 100 Thoughts / 100 Notizen – 100 Gedanken: No. 022, Kassel 2011, S. 35.
[2] Ebd., S. 31.
[3] Zum Begriff „des Realen“ im Archiv, siehe Giovanna Zapperi, „The Archive as a contact zone“, 2016, ael.eui.eu/wp-content/uploads/sites/21/2016/11/ The-Archive-as-a-contact-zone.pdf (abgerufen am 25.4.2023).
[4] Michel Foucault, Archäologie des Wissens, Frankfurt am Main 1981, S. 187.
[5] Vgl. Doreen Mende, „The Undutiful Daughter’s Concept of Archival Metabolism“, in: e-flux Journal #93, September 2018. Die „undutiful daughter", oder „ungehorsame Tochter“, wird von Mende in ihrem gleichnamigen Text von 2018 als eine Figur beschrieben, die die patriarchalen Logiken des Archivs herausfordert, und zwar in einem komplexen Verhältnis mit „jenen, die Zugang zum Gesetz haben und seine Sprache sprechen (gelernt haben)“. Im Kontext von Gesellschaften, die sich dem Gesetz des Vaters jedoch verweigern oder in denen das Gesetz des Vaters gescheitert ist, ist es möglich und notwendig, das Archiv aus Positionen des "knowing otherwise", des anderen Wissens, herauszudenken: „Die ungehorsame Tochter lehnt das väterliche Gesetz ab, glaubt aber [...] auch an die futuristische Kraft des Archivs. Sie kann nicht (nicht) an der Sprache ‚des Sagbaren‘ teilhaben, aber sie tut es gemäß ihren eigenen Lernprozessen, Vokabeln und Wegen. Sie ist bereits zwei: eine Tochter und eine Ungehorsame. Mit anderen Worten, sie kämpft nicht um Repräsentation und Anerkennung innerhalb der Logik des Gesetzes, sondern sie erprobt ständig die Aktualisierung von Intensitäten und Kräften (Deleuze), indem sie die Denkweise des Archivs radikal in Frage stellt.“
[6] Zum Begriff des „historischen Wissens“, siehe Michel Foucault, Archäologie des Wissens, Frankfurt am Main, 1972, S. 11.
[7] Infolge des entbrannten Streits um das Projekt zwischen Vorstand, Mitgliedern und Kultusministerium wurde die Ausstellung vorzeitig geschlossen.
[8] Zur Satzungsänderung, siehe www.kunstverein- muenchen.de/de/programm/ausstellungen/rueckblick/2021/bea-schlingelhoff (abgerufen am 24.3.2023).
[9] Vgl. Interview von Nancy N. Chen mit Trinh T. Minh-ha, „Speaking Nearby“, in: Trinh T. Minh-ha, Texte, Filme, Gespräche, München 1995, S. 59–78.
[10] Vgl. Ariella A. Azoulay, Potential History. Unlearning Imperialism, London/New York 2019.
Abbildungen
[1] Installationsansicht: THE ARCHIVE AS …, Kunstverein München, 2023. Foto Maximilian Geuter.
[2] Installationsansicht: Bea Schlingelhoff, No River to Cross, Kunstverein München, 2021. Foto: Constanza Meléndez
[3] Installationsansicht: Verändert die Welt! Poesie muss von allen gemacht werden!, Kunstverein München, 1970. Foto: Branko Senior.
[4] Installationsansicht: THE ARCHIVE AS ..., Kunstverein München, 2023. Foto: Maximilian Geuter.
[5] Installationsansicht: Verändert die Welt! Poesie muss von allen gemacht werden!, Kunstverein München, 1970. Foto: Branko Senior.
[6]Installationsansicht: Bea Schlingelhoff, No River to Cross, Kunstverein München, 2021. Präambel, angenommen von den Mitgliedern des Kunstverein München am 19.08.2021. Foto: Constanza Meléndez.