Key Operators – Webpublikation
Weben und Coding als Mittel feministischer Geschichtsschreibung
Die Webpublikation zum Projekt Key Operators fungiert als dauerhafte digitale Verortung der in der gleichnamigen Gruppenausstellung verhandelten Fragestellungen und präsentierten Positionen. Die Webpublikation wird durch eine Druckpublikation ergänzt, die in kleiner Auflage erscheint. Die Relation zwischen dem digitalen (technischen) und analogen (haptischen) Raum, die den Werken in der Gruppenausstellung eingeschrieben ist, soll durch die zwei komplementären Publikationsformate veranschaulicht werden: die interaktive Online-Publikation erfährt eine analoge Erweiterung. Beide dienen jeweils als (Bestands-)Aufnahme des umfassenden Projekts Key Operators und bieten eine Reflexion der Ausstellung, des begleitenden Veranstaltungsprogramms und vor allem der Beitragenden.
Die digitale sowie analoge Publikation sind kein Beiwerk zur Ausstellung, sondern vielmehr eine Übersetzung ihrer Anliegen, Fragestellungen und Struktur in die digitale sowie in die gedruckte Form. Ähnlich wie die Ausstellung fungieren die Publikationen jeweils als Speicher sowie Medium für Information. Ihre offene Form folgt den Ansätzen der räumlichen Umsetzung und ist somit eine Übertragung von deren Prozesshaftigkeit, Nicht-Linearität und Multiplizität. Während auf der digitale Ebene die Vermittlung der Projektchronik und der Dokumentation der einzelnen Beiträge möglich wird, wird auf der analogen Ebene die Ausstellung nochmals in zwei verschiedene Formate übersetzt: Die gedruckte Publikation besteht einerseits aus einem gebundenen Teil, der sich auf die visuelle Dokumentation der Ausstellung, der Werke und der räumlichen Beziehungen fokussiert, und aus ungebundenen Broschüren, welche jeweils den Beitragenden gewidmet sind – und teils von ihnen konzipiert wurden.
Key Operators fokussiert die Verknüpfung von weiblicher Arbeit und technologischem Fortschritt. Die Systeme, die dem Weben und Programmieren eingeschrieben sind, dienen als Ausgangspunkt, um alternative Betrachtungsweisen von Geschlecht und Arbeit zu entwerfen. Das Projekt versammelt generationenübergreifende Positionen – und damit neu entwickelte sowie historische Beiträge –, die sich auf konkreter, metaphorischer wie sprachlicher Ebene mit dem Begriff des Webens und seiner Bedeutung für die Entwicklung der Computertechnologie befassen.
Der Computer ist mit der Geschichte des Textils seit der Industrialisierung im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert verbunden. Die Mathematikerin Ada Lovelace nimmt hierbei eine besondere Rolle ein. Sie erkannte das Potenzial der in den ersten mechanischen Webstühlen – die sogenannten Jacquard-Webstühle [1] – verwendeten Lochkarten und übertrug ihr System (Loch/kein Loch) in einen Code aus Nullen und Einsen. Dies macht sie zu einer Pionierin der Programmierung. Wie kommt es also, dass bis heute Weben eher als traditionell „weibliche“ Tätigkeit, Coding dagegen als „männliches“ Tätigkeitsfeld wahrgenommen wird? Die bedeutende Rolle, die Frauen und ihre Arbeit bei der Entwicklung von Computertechnologie spielten, wird oftmals vergessen oder an die Ränder der Geschichte verfrachtet. Sadie Plant bemerkt dazu: „Wo ‚alle Hauptstraßen des Lebens als ‚männlich‘ gekennzeichnet sind, und der Frau nichts anderes übrigbleibt, als Frau zu sein‘, waren Männer diejenigen, die alles tun konnten. Frauen [...] dienten als ‚eine ‚Infrastruktur‘ unserer Gesellschaft und unserer Kultur […], die als solche verkannt bleibt‘.“[2]
Vor etwa hundertfünfzig Jahren bezeichnete „Computer“ keine Maschine, sondern den Beruf einer Person, die in einem Rechenbüro komplexe mathematische Aufgaben manuell ausführte. Und „trotz der Vielfalt ihrer Tätigkeiten hatten die menschlichen Computer eines gemeinsam. Sie waren Frauen.“[3] Der Titel des Projekts leitet sich von einer ähnlich geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung ab: Als Kopierer in den späten 1940er Jahren in nordamerikanischen Büros eingeführt wurden, durften sie nur von ausgebildeten „key operators“ bedient werden. Aufgaben im Zusammenhang mit der Maschine galten als niedere Büroarbeit und wurden in der Regel Frauen zugewiesen. Der Titel bietet jedoch auch andere Lesarten: „key“ im Sinne einer zentralen Figur, wodurch die bedeutende Rolle von Frauen sowohl bei der Anerkennung des Webens als eigenständige Kunstform als auch bei der Entwicklung von Computertechnologie betont wird; „key“ als Taste am Computer oder als Pedal eines Webstuhls.
Die künstlerischen und theoretischen Positionen in Key Operators begreifen Weben und Coding als zentrale Metaphern. Die Beiträge fungieren als narrative Fäden, die verschiedene Kontexte durchqueren und unterschiedliche Erzählmethoden miteinander verknüpfen, um die Peripherien der offiziellen Geschichtsschreibung nach ihren Abwesenheiten abzusuchen. In diesem Zusammenhang werden Webstuhl und Computer gewissermaßen als Verbündete betrachtet, um eben jene Ränder der Geschichte zu betrachten, die oftmals die Voraussetzungen für ihre Schreibung schaffen.
Die Geschichte von Key Operators ist der Arbeit und dem Denken aller Beitragenden zu verdanken – künstlerisch, theoretisch, kuratorisch. Bei ihnen handelt es sich um (persönliche) Schlüsselfiguren, ohne deren Wegweisung und Entschlossenheit all dies nicht möglich gewesen wäre, und denen ich zutiefst dankbar bin. Während ich die Tasten meines Computers bediene, um diese (Web-)Publikationen abzuschließen, entschlüsseln sie die Welt.
Text: Gloria Hasnay
Beiträge
- Claire L. Evans
- Elsi Giauque
- Johanna Gonschorek
- Michèle Graf & Selina Grüter
- Lynn Hershman Leeson
- Pati Hill
- Charlotte Johannesson
- Lotus L. Kang
- Alison Knowles
- Beryl Korot
- James Tilly Matthews
- Katrin Mayer
- Sadie Plant
- Johannes Porsch
- Radical Software
- Bea Schlingelhoff
- Marilou Schultz
- Johanna Schütz-Wolff
- Iris Touliatou
Fußnoten:
[1] Der Namensgeber des Webstuhls ist der französische Weber Joseph-Marie Jacquard, der im frühen 19. Jahrhundert eine neue mechanische Technik einführte, die mit Lochkarten arbeitete. Damit war es erstmals möglich, endlose Muster von beliebiger Komplexität zu produzieren.
[2] Sadie Plant, nullen + einsen. Digitale Frauen und die Kultur der neuen Technologien, Berlin 1998, S. 44, mit einem Zitat aus Luce Irigaray, Das Geschlecht, das nicht eins ist, New York 1993, S. 86.
[3] Claire L. Evans, Broad Band: The Untold Story of the Women Who Made the Internet, New York 2018, S. 10 [Übersetzung der Redaktion].
Abbildungen:
[1–7] Dokumentationsfotos: Kunstverein München e.V., 2024.
Gestaltung:
Max Schropp
Das Projekt wird gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes und die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien.