Ars Viva 2018

Anna-Sophie Berger, Oscar Enberg, Zac Langdon-Pole

Oktober – 19. November 2017

Vom 7. Oktober bis 19. November 2017 zeigt der Kunstverein München eine Ausstellung neuer und erst kürzlich entstandener Werke von Künstlern, die den Ars Viva-Preis 2018 gewonnen haben: Anna-Sophie Berger, Oscar Enberg und Zac Langdon-Pole.

Seit 1953 vergibt der Kulturkreis der deutschen Wirtschaft im BDI e.V. jährlich den Ars Viva-Preis an junge, in Deutschland lebende Künstler, deren Arbeiten sich durch richtungsweisendes Potential auszeichnen. Der diesjährigen Jury unter Vorsitz von Ulrich Sauerwein gehörten neben Mitgliedern des Gremiums Bildende Kunst des Kulturkreises auch die Direktoren und Kuratoren Chris Fitzpatrick (Kunstverein München), Martin Germann (S.M.A.K., Gent), Zita Cobb (Fogo Island Arts / Shorefast Foundation), Nicolaus Schafhausen (Kunsthalle Wien, Shorefast Foundation) und Krist Gruijthuijsen (KW Institute for Contemporary Art, Berlin) an. Die Ars Viva-Ausstellung wird 2018 in Kooperation mit dem S.M.A.K. in Gent neu konzipiert. Teil des ARS VIVA-Preises ist neben den Ausstellungen, ein Preisgeld von jeweils 5.000 Euro, die Möglichkeit zur Teilnahme an einer Künstlerresidenz auf Fogo Island (Kanada) sowie eine zweisprachige Publikation, mit Aufsätzen von Simon Baier, Gürsoy Doğtaş, Gregory Kan, Laura McLean Ferris und Hans Ulrich Obrist.

Während sich die künstlerische Herangehensweise und die Interessensgebiete von Anna-Sophie Berger, Oscar Enberg und Zac Langdon-Pole deutlich voneinander unterscheiden, nähern sie sich ihren Projekten doch alle auf ähnliche Weise, nämlich durch eine tiefgehende Analyse der sozialen, historischen und ökonomischen Dimensionen der Objekte und ihrer Kontexte. Die Künstler zeigen und kombinieren dabei jeweils unterschiedliche Arten von Produktion, Verteilung und Wertzuschreibung. In der Ausstellung *ARS VIVA 2018* stehen die Logiken der Dislokation, der Hybridisierung und der semantischen Ambiguität im Mittelpunkt.

Ein nützliches Instrument, um diese kollektive Konversation zu lenken, könnte das Schiff des Theseus darstellen – ein philosophisches Paradoxon, das die Frage berührt, ob ein Objekt, bei dem Stück für Stück alle Einzelteile ausgetauscht wurden, immer noch mit sich selbst identisch ist, also dasselbe Objekt geblieben ist. Dieses Konzept ist für die Arbeitsweise von Zac Langdon-Pole von großer Bedeutung, denn er stellt die vielen historischen Narrative und Mythen in Frage, die den Ursprüngen spezifischer Objekte zugeschrieben werden. In seinem Werk berühren sich unterschiedliche Materialien und es prallen kosmische, menschliche und natürliche Prozesse aufeinander, sodass seine Arbeiten die Grenzen der Erinnerung ausloten, die Verwerfungen der Geschichte (speziell die Auswirkungen des Kolonialismus) unter die Lupe nehmen und die Hinterlassenschaften von kulturellem Austausch, Exotizismus und Ornament, sowie der Repräsentation von Geschichte kritisch hinterfragen. Er ist sehr an der Frage interessiert, was geschieht, wenn persönliche oder emotional aufgeladene Geschichten auf größere soziale Entwicklungen und kollektive Vermächtnisse treffen.

Oscar Enberg befasst sich auf ähnliche Weise mit höchst speziellen Kombinationen aus Materialien, Prozessen und Zeitlichkeiten. Er gräbt geheimnisumwobene Geschichten aus, beschwört sie geradezu und ruft Entropie hervor. Seine Arbeiten bersten schier vor literarischen, filmischen, folkloristischen, gesellschafts- und kunstgeschichtlichen Anspielungen und sie beinhalten eine Fülle von (seltenen, aufbereiteten oder gefährdeten) Materialien, verschmolzenen Protagonisten und anachronistischen (besonders kunsthandwerklichen) Prozessen, die es zu entdecken gilt. Einer Unzahl von Narrativen wird neues Leben eingehaucht, sie werden verdichtet und vermischt, wobei dies zwar oft Reibungen verursacht, doch in der Zusammenstellung sind sie mehr als nur die Summe ihrer Teile. Seine hybriden Arbeiten dienen als materielle Parabeln für parasitäre, spekulative, zusammenhängende und missbräuchliche Beziehungen, indem sie zeigen, dass Objekte und Bilder niemals autonom, sondern immer durch größere, selbstgenerierende Konstellationen und ausbeuterische strukturelle Bedingungen ermöglicht sind. Das Resultat ist eine Art Volksmund, eine kleine Sprache, eine materielle Mundart, welche die latenten Perversionen und Absurditäten in normativen Wertesystemen aufzeigt und die asymmetrischen Wechselwirkungen innerhalb ökonomischer, sozialer und kultureller Beziehungen ans Licht bringt.

Anna-Sophie Berger setzt ihre Materialien ebenfalls in einen ihnen fremden Kontext, wobei dies bisweilen auf vergänglichere und zeitlichere Weise geschieht. Ihr Status oder Nutzwert gerät nur temporär ins Schwanken, bevor er wieder gefestigt wird. Rückführung, Wiederverwertung.
Mit den Gesten, die sie kreiert, verhält es sich ähnlich; sie können selbst etwas Gewaltvolles oder Zerstörerisches beinhalten, während sie gleichzeitig andere Arten von Gewalt aufdecken – die Ausgrenzungen, ungleiche Tauschgeschäfte und Komplikationen innerhalb der Kommunikation. Die scharfen Beobachtungen ihrer sozialen Umwelt und deren Konventionen offenbaren die stetigen Aushandlungsprozesse zwischen der öffentlichen und privaten Sphäre in unserem Alltag und betonen die beiläufigen Narrative und bedeutsamen Momente, die unweigerlich zum Vorschein kommen, während man seine persönlichen Erfahrungen sammelt. Indem sie Objekte und Bilder an immer neue Orte versetzt, stellt sie die grundlegende Frage nach den sozialen und körperlichen Zwecken der Dinge sowie der Anpassungsfähigkeit der Subjektivität in einer immer fremder werdenden Welt.

Die ausstellenden Künstler bei Ars Viva 2018 führt in erster Linie der Preis zusammen, doch die Resonanzen, die sich über ihre jeweiligen Arbeitspraktiken hinweg ergeben, sind alles andere als zufällig. Das Ergebnis ist von einer ontologischen Mehrdeutigkeit, einer konzeptuellen Strenge, einer politischen Motivation und einer materiellen Reichhaltigkeit geprägt. Dabei spielt es keine Rolle, woher die Materialien stammen – aus öffentlichen Parks, dem All, dem Outback, der Unterwasserwelt, dem Internet, von speziellen Bäumen oder Tieren, oder ob sie von Insekten vergraben wurden –, sie sind hochgradig mit Bedeutung aufgeladen: durch ihren Herstellungsprozess und durch den sozialen oder historischen Zweck, zu dem sie benutzt wurden. Und sie sind fantastische Mutanten – Materialien sind aufeinandergeprallt, sodass ihre körperlichen, produktiven und symbolischen Eigenschaften sich unweigerlich berührten und miteinander verschmolzen.

0
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
41
42
43
44
45
46
47
48
49
50
51
52
53
54
55
56
57
58
59
60
61
62
63
64
65
66
67
68
69
70
71
72
73
74
75
76
77
78
79
80
81
82
83
pageview counter pixel