Archivnewsletter No. 14
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THE ARCHIVE AS … A RECORDING DEVICE
Die Theoretikerin und Kuratorin Doreen Mende im Gespräch mit Maurin Dietrich und Gloria Hasnay, Direktorin und Kuratorin des Kunstvereins, über die Subjektivität der Institution und ihres Archivs.

Maurin Dietrich In den vergangenen drei Jahren haben wir begonnen, die Fährten der Überlieferung nachzuzeichnen und das Archiv des Kunstvereins zu befragen. Auch um im Heute anzukommen und von hier aus einen Blick in die Zukunft zu werfen. Warum überhaupt archivieren an Kunstvereinen? Und von was genau sprechen wir eigentlich, wenn wir von einem Archiv im Kontext der Kunstvereinsgeschichte in München sprechen? Ist es nicht das immer Aktuelle, ungesichert Zeitgenössische, beinahe Ahistorische, das die Kunstvereine im Spannungsfeld mit anderen Institutionsformen wie Museen und ihren Sammlungen definiert?
Doreen Mende Im Unterschied zu Museen haben Kunstvereine keine klassische Sammlung von Kunstwerken, die den Kriterien eines institutionellen Sammlungsauftrags als chronologische Geschichtsschreibung folgen. Beim Sammeln entscheidet die Subjektivität, die oft auch kollektiv sein kann und die sich an einem kunsthistorischen Kanon orientiert beziehungsweise mit ihrer zukünftigen Kanonwerdung spekuliert. Bei einem Kunstverein lässt sich Geschichtsschreibung nicht am Wert der Sammlung messen. Vielmehr gibt das Archiv Auskunft über die Bedingungen der Institutionalisierung ohne Eigentumsanspruch. Das Archivieren folgt einem anderen Prozess: Anhand von Dokumenten sind einerseits die Arbeitsökonomien der Akteur*innen (Direktor*in, Kurator*in, Künstler*in, Assistent*in, Buchhalter*in, Vorstand, usw.) zu erkennen. Andererseits lassen sich die Produktionsbedingungen der Ausstellungspraxis als Infrastrukturen künstlerischen sowie kuratorischen Handelns ablesen. In einer Kunstinstitution – hierbei unterscheiden sich Museum und Kunstverein kaum – würde ich beim Archivieren deshalb von der Subjektivität der Institution selbst sprechen, die aus einem Netzwerk von Aktivitäten im Sinne der Kunst entsteht: Korrespondenzen, Versicherungspolicen, Vertragsentwürfe, Rechnungen, Design-Entwürfe, Aufnahmen oder Transkriptionen von Gesprächen wie unseren, Projektskizzen, Sitzungsprotokollen, Krankmeldungen, Einladungskarten, Zeitungsberichten – also Paratexte der Kunst, die ein archivarisches sowie auch nicht-hierarchisches Gebilde ergeben. Damit geht das Archiv über die öffentliche Sichtbarkeit des Kunstwerks bzw. der Ausstellung hinaus.
MD Mit dem Begriff der Subjektivität einer Institution hast du einen Unterschied erläutert zwischen einer Sammlung, welche durch eine (potenziell kollektive) Subjektivität entsteht und einem Archiv, welches selbst die Subjektivität der Institution verkörpert. Kannst du das noch weiter ausführen?
DM Das Archivieren hat die Kapazität, eine instituierende (instituting) Subjektivität hervorzubringen, die immer auch eine kollektive und kollaborative beziehungsweise auch eine konfliktreiche ist. Auf jeden Fall wird klar, dass eine Institution wie der Kunstverein in gesellschaftliche Kontexte eingebettet ist. Nehmen wir an, das Archiv wäre ein Aufnahmegerät: aber nicht nur ein Aufnehmen von Protokollen, den hard facts oder Dokumenten, sondern auch von Übertragungslücken, dem Gemurmel im Hintergrund, dem Unleserlichen, Poetiken des Alltags in Formen einer Randnotiz oder einer Telefonnummer ohne Anschluss oder einer undokumentierten Erinnerung. Es bringt nicht nur das zusammen, was ausschließlich dem Sagbaren zugeordnet werden kann – wie es Michel Foucault noch als Archivtheorie des 20. Jahrhunderts beschrieb –, sondern im Archiv finden sich auch Einschreibungen, die im Moment des Sammelns eine enorme Relevanz haben, jedoch für die Ausstellung bewusst verschwiegen, ausgelassen oder verletzlich sind, öffentlich zu werden. Oder andersherum, Einschreibungen, die zum Zeitpunkt des Archivierens fälschlicherweise eine geringere Bedeutung zu haben scheinen, deren enormer Wissensgehalt erst in einem späteren Moment als „kritischpoetischer Virus“[1] – wie es die Philosophin, Psychoanalytikerin und Kulturwissenschaftlerin Suely Rolnik beschrieb – zum Vorschein kommen können. Wir können einen solchen Virus, wenn wir ihn mit Rolnik denken, so verstehen, dass er eine „unbewusste Verdrängung“ in sich trägt; er „ist [nicht nur] in die Erinnerung der in den von der herrschenden Kultur besetzen Regionen lebenden Körper eingeschrieben, sondern auch die Erinnerung an das Erlebnis dieser Artikulation, die darauf wartet, die richtigen Bedingungen zu finden, um sich zu reaktivieren und aus ihrer Beschränkung auszubrechen.“[2] Dieser Denkansatz stellt die Autorität über das Wissen auf den Kopf: Weder die Direktorin noch der archon entscheiden, welche Narrative des Archivs reaktiviert werden. Stattdessen aktiviert der „kritisch-poetische Virus“ die eigenen Kräfte des Archivs, um den Wirt – den wir innerhalb oder in der Nähe des institutionellen Körpers verorten können – zu mobilisieren und, epistemisch gesprochen, zu „infizieren“. Mit anderen Worten: Die Arbeit mit dem Archiv ist mit den Bedingungen sozialer Prozesse verbunden, durch welche Para- und Infrastrukturen des Vereins sichtbar werden.
Eure Arbeit am Archiv des Kunstvereins, das sowohl durch künstlerische als auch kuratorische Mittel von euch bzw. in Zusammenarbeit mit euren Archivar*innen Johanna Klingler und Jonas von Lenthe aufgearbeitet wird, erscheint mir ähnlich der Erforschung einer Subjektivität der Institution. Eure Initiative, einen Archivraum als aktiven Ort der Institution einzurichten, macht die Prozesshaftigkeit des Archivs deutlich. Ich bin daran interessiert, warum es genau jetzt „die richtigen Bedingungen“ für dieses Archiv-Virus gibt – die Sichtbarmachung in Bewegung zu setzen? In diesem Prozess wird Geschichte, erstens, als unvollendeter Prozess anerkannt, so wie es Okwui Enwezor mit The Short Century. Unabhängigkeits- und Befreiungsbewegungen in Afrika 1945–1994 im Münchner Museum Villa Stuck im Jahr 2001 als postkoloniale Konstellation auch und gerade von europäischen Museen einforderte. Im Kontext der 200-jährigen Geschichte des Kunstverein München geht es zudem, zweitens, um accountability der institutionellen Subjektivität. Accountability wäre mit „Verantwortung“, aber auch mit „Haftung“ im Sinne „zur Rechenschaft gezogen zu werden“ zu übersetzen, oder auch als Fähigkeit, eine Antwort (response) geben zu können: auf die Gewalt der Deutungshoheit, die Ignoranz, die strukturellen Rassismen und Faschismen, welche im Archiv fast einer jeden bürgerschaftlichen Institution in Europa zu finden sind. Warum wird gerade in diesem Moment die account-ability des Kunstvereins wichtig? Warum gibt es jetzt die „richtigen Bedingungen“ dafür? Wäre das ein Prozess der De/Re-Institutionalisierung?

Gloria Hasnay Ein Archiv steht immer auch für eine spezifische Form der Realitätsbildung, die von nur wenigen bestimmt und geleitet wird. Dadurch ergibt sich automatisch ein Machtgefüge zwischen dem, was bewahrt wird und was nicht. Die gegenwärtige archivarische Praxis ist zutiefst ambivalent gegenüber der Rhetorik von Wahrheit und Authentizität, also dem vermeintlich „Realen“. In diesem Kontext setzt sich die Konstruktion „des Realen“ aus dem Spannungsverhältnis zwischen Repräsentation und Produktion, zwischen Öffentlichem und Privatem, zwischen Objektivem und Subjektivem zusammen.[3] Was also, wenn Archive – unbewusst oder bewusst – gegen etwas oder jemanden arbeiten?
DM Richtigerweise wird die dem Archiv inhärente Macht und Gewalt immer wieder kritisiert. Der Archivbegriff hat sich Ende des 20. Jahrhunderts jedoch stark verändert. Du sprichst dabei eine, wie ich finde, wichtige Fähigkeit des Archivs an: sowohl als auch. Das Archiv ist immer ein Spannungsverhältnis von Gegensätzen. Es ist nicht möglich, ein Archiv auszustellen. Es sind immer nur Ausschnitte sichtbar (exhibition), während andere unsichtbar bleiben (inhibition) oder für welche die „richtigen Bedingungen“ entweder bereits geschaffen wurden oder noch werden. Mit dieser Eigenschaft ist eine Konstellation verschiedener Praxisformen verbunden, die im Archiv eine Vielzahl von Netzwerken erzeugen.
MD Diese Konstellation verschiedener Praxisformen fasst die letzten drei Jahre Archivarbeit treffend zusammen. Du hast dich vorhin auf die Arbeit von Akteur*innen, deren Präsenz sich erst im Archiv ablesen lässt, bezogen. Es ist ein sehr positivistischer Gedanke des Archivs, dass ihnen dort eine Sichtbarkeit zuteil wird. Das Archiv ist aber „[...] zunächst das Gesetz dessen, was gesagt werden kann [...]“[4], schrieb Foucault 1969. Du beziehst dich in deinem Text The Undutiful Daughter’s Concept of Archival Metabolism darauf und stellst im Anschluss einige Fragen: Was, wenn das, was sich weigert, vergessen zu werden, der Sprache entkommt? Oder was, wenn es eine Sprache spricht, die das System des Gesetzes nicht anerkennt? Du fragst, wie mit all dem umzugehen ist „was nicht gesagt werden kann“ und dessen Widerständigkeit.[5] Daran anschließend stellt sich für mich die Frage, wie sich überhaupt Sprachlosigkeit im Archiv niederschlägt oder sichtbar wird, wenn wir es doch mit Dokumenten zu tun haben, die auf Sprache, Zahlen oder Zeichen basieren. Ist es dann nur das Fehlende, was sich im Verhältnis zu etwas Existierendem zeigt? Oder anders gefragt: „Hilft“ uns das Archiv beim Erinnern oder trägt es zum Vergessen bei?
DM Deine Kritik am positivistischen Gedanken ist ein wichtiger Punkt, denn das Archiv ist natürlich kein Allheilmittel. Es kann weder die Leerstellen ausfüllen, als ob es nie die Gewalt der Auslassung gegeben hätte, noch kann es Versäumtes nachholen. Mit der Idee des Archival Metabolism habe ich in den letzten Jahren versucht, der asynchronen Gleichzeitigkeit von Gegensätzen im Archiv beizukommen. Meine Überlegungen dafür sind von zwei Dingen geprägt: erstens, die Arbeit mit nicht-institutionellen Archiven aufgrund der Absenz ihrer Inhalte (in Form des „historischen Wissens“) in Museen, Universitäten und Bibliotheken.[6] Zweitens, die Situierung des Archivs in Bezug auf politisch-systemische Brüche, wie sie um 1990 weltweit stattgefunden haben. Hierbei interessiert mich weder ein Wettstreit zwischen dem institutionellen und nicht-institutionellen Archiv noch geht es um die Möglichkeit einer Korrektur oder Vervollständigung einer historischen Geschichte. Vielmehr ist mir klar geworden, dass die Aktivierung eines Archivs in der Gegenwart nicht durch eine Copy-Paste-Praxis von Versatzstücken der Vergangenheit in der Gegenwart entsteht. So sehr wir die „Geschichtsstunde“ benötigen, in der es um genaueste Rekonstruktionen historischer Momente anhand von Fakten, Daten und Dokumenten gehen muss, so sehr unterliegt das Archiv selbst den Herausforderungen transgenerationaler Übertragungen. Der Archival Metabolism versucht, den transgenerationalen Transfer, der von Missverständnissen, unterschiedlichen Sprachen und Begriffen, Dekontextualisierungen, Nichtübersetzbarkeiten sowie Sprachlosigkeiten geprägt ist, als Teil eines transhistorischen Wissensprozesses anzuerkennen. Insofern steht das Erinnern nicht in Konkurrenz zum Vergessen, sondern ist ein Erinnern der Vergessenheit – ein verflochtener Prozess.

GH Als wir am Kunstverein angefangen haben, war uns bewusst, dass es ein „vor uns“, aber eben auch ein „nach uns“ gibt. Im Gespräch mit den verschiedenen Autor*innen dieser Publikation, aber auch ehemaligen Mitarbeiter*innen, kamen wir immer wieder zu dem Punkt, dass etwas im Moment der Veröffentlichung trotzdem keineswegs als abgeschlossen gelten kann. Es ist eine Bestandsaufnahme, ein Zwischenstand in all seiner ephemeren Form. Unser Blick auf das Archiv verändert sich stetig, wenn wir neue Dokumente finden oder neue Personen dazustoßen. Was unserer Arbeit hier, aber auch unserem kuratorischen Interesse allgemein entspricht, ist, wie sich eine Institution mit all ihren paratextuellen sowie infrastrukturellen Elementen konstituiert und damit weit über ihr eigentliches öffentliches Programm hinausgeht. Wo sind wir situiert und wer arbeitet innerhalb dieser Strukturen? Wie kann man etwas dekonstruieren und wo ist das vielleicht schon mal passiert? Deswegen schauen wir uns immer wieder die zurückliegenden Momente der Politisierung und Rekonfigurationen in der Geschichte des Kunstvereins an, da sie Auskunft über eine Form des institution building geben. Ein Beispiel dafür ist die Ausstellung Verändert die Welt! Poesie muß von allen gemacht werden!, die 1970 vom Kunstverein gemeinsam mit Studierenden der Akademie der Bildenden Künste München organisiert wurde. Mit dem Projekt wurde öffentlichkeitswirksam der Umgang mit Personal, das nach dem Zweiten Weltkrieg beinahe nahtlos an der Akademie sowie an anderen Hochschulen weiterbeschäftigt wurde, kritisiert.[7] Ein jüngeres Beispiel für eine Politisierung des Kunstvereins ist die Ausstellung No River to Cross (2021) von Bea Schlingelhoff, in deren Zusammenhang auch eine außerordentliche Mitgliederversammlung einberufen wurde, um eine von der Künstlerin vorgeschlagene Satzungsänderung zu verhandeln.[8]
Als sinnvoller gedanklicher Rahmen, um über die angestrebte Methode der Archivarbeit am Kunstverein nachzudenken, erscheint auch Trinh T. Minh-has Konzept des „speaking nearby“ anstatt eines „speaking for“ oder „speaking about“.[9] Wir möchten nicht über die Geschichte und ihre Akteur*innen sprechen, sondern mit ihnen, neben ihnen. Die Erzählung soll abgegeben werden, wodurch wiederum die eigene Position (und Subjektivität) gegenüber dem, worüber gesprochen und was gesammelt wird, offenbart und zugleich problematisiert wird.
DM Die Potenzialität des Archivs ist nie erschöpft, wenn wir uns davon verabschieden, im Archiv ausschließlich das Dokument als Beweisstück zu suchen. Denn wir werden oft nicht fündig, während es „potenzielle Geschichten“ dennoch in Fülle gibt [10]. Könnte man Indizien dafür finden, ob das Programm des Kunstvereins beispielsweise die Aufteilung des Afrikanischen Kontinents im Rahmen der kolonialen Berlin Konferenz von 1884/85 unter Leitung von Otto von Bismarck mit 13 weiteren Vertretern imperialer Staaten beziehungsweise Großmächte reflektiert hat? Spiegelt sich die Gründung der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland 1986 im Archiv in irgendeiner Form wider? Wie spricht das Archiv des Kunstverein München zur Auflösung der DDR um 1990? Flüstert das Archiv an den Rändern darüber?
Eine längere Version des Gesprächs erschien 2023 in der Jubiläumspublikation FOR NOW – 200 Jahre Kunstverein München.
Doreen Mende ist Kuratorin, Theoretikerin und Leiterin der Forschungsabteilung an den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Seit 2015 ist sie assoziierte Professorin am Fachbereich Bildende Kunst der HEAD Genève in der Schweiz, wo sie das Projekt Decolonizing Socialism Entangled Internationalism (2019-2024), gefördert vom Schweizerischen Nationalfonds, in Zusammenarbeit mit blaxTARLINES in Ghana, Oralities Research Lab in Indien, Van AbbeMuseum in den Niederlanden u.a. durchführte. Sie ist Mitherausgeberin von Navigation Beyond Vision (mit Tom Holert und e-flux Journal) und hat zahlreiche wissenschaftliche und essayistische Artikel mit Sternberg Press, MIT Press, e-flux Journal, The Oxford Handbook for Communist Visual Cultures, Bloomsbury Publishing, Jerusalem Quarterly, Archive Books und spector books veröffentlicht. Sie ist Gründungsmitglied des Harun Farocki Instituts in Berlin.
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[1] Suely Rolnik, „Archivmanie“, in: Rolnik, 100 Notes – 100 Thoughts / 100 Notizen – 100 Gedanken: No. 022, Kassel 2011, S. 35.
[2] Ebd., S. 31.
[3] Zum Begriff „des Realen“ im Archiv, siehe Giovanna Zapperi, „The Archive as a contact zone“, 2016, ael.eui.eu/wp-content/uploads/sites/21/2016/11/ The-Archive-as-a-contact-zone.pdf (abgerufen am 25.4.2023).
[4] Michel Foucault, Archäologie des Wissens, Frankfurt am Main 1981, S. 187.
[5] Vgl. Doreen Mende, „The Undutiful Daughter’s Concept of Archival Metabolism“, in: e-flux Journal #93, September 2018. Die undutiful daughter, oder „ungehorsame Tochter“, wird von Mende in ihrem gleichnamigen Text von 2018 als eine Figur beschrieben, die die patriarchalen Logiken des Archivs herausfordert, und zwar in einem komplexen Verhältnis mit „jenen, die Zugang zum Gesetz haben und seine Sprache sprechen (gelernt haben)“. Im Kontext von Gesellschaften, die sich dem Gesetz des Vaters jedoch verweigern oder in denen das Gesetz des Vaters gescheitert ist, ist es möglich und notwendig, das Archiv aus Positionen des knowing otherwise, des anderen Wissens, herauszudenken: „Die ungehorsame Tochter lehnt das väterliche Gesetz ab, glaubt aber [...] auch an die futuristische Kraft des Archivs. Sie kann nicht (nicht) an der Sprache ‚des Sagbaren‘ teilhaben, aber sie tut es gemäß ihren eigenen Lernprozessen, Vokabeln und Wegen. Sie ist bereits zwei: eine Tochter und eine Ungehorsame. Mit anderen Worten, sie kämpft nicht um Repräsentation und Anerkennung innerhalb der Logik des Gesetzes, sondern sie erprobt ständig die Aktualisierung von Intensitäten und Kräften (Deleuze), indem sie die Denkweise des Archivs radikal in Frage stellt.“
[6] Zum Begriff des „historischen Wissens“, siehe Michel Foucault, Archäologie des Wissens, Frankfurt am Main, 1972, S. 11.
[7] Infolge des entbrannten Streits um das Projekt zwischen Vorstand, Mitgliedern und Kultusministerium wurde die Ausstellung vorzeitig geschlossen.
[8] Zur Satzungsänderung, siehe www.kunstverein- muenchen.de/de/programm/ausstellungen/rueckblick/2021/bea-schlingelhoff (abgerufen am 24.3.2023).
[9] Vgl. Interview von Nancy N. Chen mit Trinh T. Minh-ha, „Speaking Nearby“, in: Trinh T. Minh-ha, Texte, Filme, Gespräche, München 1995, S. 59–78.
[10] Vgl. Ariella A. Azoulay, Potential History. Unlearning Imperialism, London/New York 2019.

— English Version —
THE ARCHIVE AS … A RECORDING DEVICE
Theorist and curator Doreen Mende in conversation with Maurin Dietrich and Gloria Hasnay on the subjectivity of the institution and its archive.

Maurin Dietrich Over the past three years, we have begun to interrogate the archive of the Kunstverein, tracing its paths and traditions, to arrive in a present from which we can cast a glance towards the future. But why even do archival work at a Kunstverein? And what are we actually talking about when we speak of an archive in the context of the Kunstverein’s history in Munich? Is it not the present, an unfixed contemporary situated in the now, the almost ahistorical, that sets the Kunstverein apart from and against other institutional forms, such as museums and their collections?
Doreen Mende In contrast to museums, Kunstvereine don’t maintain collections of artworks in adherence with an institutional collecting mandate that serves as a mode of chronological historiography. In collecting, decisions are made subjectively, or by a subjective collective, which orients itself towards an art historical canon, or indeed, speculates on its future status within the canon. With a Kunstverein, historiography cannot be gauged according to the value of its collection. On the contrary, the archive provides information about the conditions of institutionalization without a claim to ownership. Archiving follows a different process. On the one hand, with reference to documents, the labor economies of the various actors (directors, curators, artists, assistants, accountants, board members, and so forth) become apparent. On the other hand, the production conditions of exhibition practices can also be recognized as infrastructures for the facilitation of artistic as well as curatorial action. Therefore, with regard to archiving in an art institution—and in this sense, museums and Kunstvereine scarcely differ—I would speak of the subjectivity of the institution itself, which emerges out of a network of activities in accordance with art-making: correspondences, insurance policies, drafts of contracts, invoices, design drafts, recordings or transcriptions of discussions like this one, project sketches, minutes of meetings, sick notes, invitation cards, newspaper articles—so, the paratexts of art, which produce an archival and non-hierarchical construct. With that, the archive goes beyond what is publicly visible in the artwork and indeed the exhibition.
MD In view of this concept of the subjectivity of an institution, you illustrated the difference between a collection that emerges through one (potentially collective) subjectivity and an archive that embodies the subjectivity of the institution itself. Could you elaborate on that?
DM Archiving has the capacity to produce an instituting subjectivity that is always also collective and collaborative, though indeed conflictual, as well. In any case, it is clear that an institution like the Kunstverein is embedded in social contexts. Hence its subjectivity emerges in tension with history as an incomplete process. Let us consider the archive as a recording device; not only for recording meetings, hard facts, or documents, but also the gaps in transmission, the background murmur, the illegible, the poetics of the everyday in the form of marginal notes, or a phone number without a dialing code— for conflict or an undocumented memory. The archive brings together not only that which can be assigned exclusively to the sayable—in the sense that Michel Foucault described a theory of the archive in the twentieth century—but in it there are also inscriptions that have tremendous relevance in the moment of being archived, though they may be consciously concealed, omitted, erased, or vulnerable to the act of public exposure. Or the other way around, inscriptions that appear to have erroneously less meaning in the moment of archiving, but whose enormous knowledge is always latent constituting a “critical-poetic virus” —as the philosopher, psychoanalyst, and cultural theorist Suely Rolnik puts it.[1] We may understand such a virus, thinking with Rolnik, to carry an “unconscious repression” that is “inscribed with the experience of that articulation, which waits for the right conditions to reactivate itself and escape from its confinement.”[2] It turns the authority over knowledge upside down: Neither the director nor the archon decides for the archive to reactivate its narratives. Instead, the “critical-poetic virus” activates the archive’s own agency to mobilize and “infect,” epistemically speaking, the host—that I suggest to situate within or nearby the institutional body. In other words, the work with the archive is linked to the conditions of social processes, through which the para- and infrastructures of the Verein become visible.
Your work on the Kunstverein’s archive, which you are undertaking through both artistic and curatorial means, particularly in collaboration with the current archivists, Johanna Klingler and Jonas von Lenthe, seems to me akin to the investigation into an institution’s subjectivity. Your initiative to set up an Archive Space as an active site within the institution makes the processual nature of the archive apparent. I’m interested here in the reasons why, at this precise moment, there are “the right conditions” for this archive virus to activate and move towards visibility? In this process, history is recognized firstly as an incomplete process, in the way that Okwui Enwezor did with The Short Century: Independence and Liberation Movements in Africa 1945–1994 at Munich’s Museum Villa Stuck in 2001, as a postcolonial constellation and as a demand of European museums. Secondly, in the context of the 200-year history of Kunstverein München, it is also a matter of accountability of institutional subjectivity. Accountability could be translated into German as “Verantwortung” (responsibility), but also as “Haftung” (liability) in the sense of “being called to account,” or else as the capacity to provide a response to the violence of sovereignty over meaning, to ignorance, to structural racisms and fascisms, which can be found in the archives of almost every bourgeois institution in Europe. Why is the account-ability of the Kunstverein important in this precise moment? Why are there the “right conditions” for it now? Would this be a process of de-/re-institutionalization?

Gloria Hasnay An archive also always stands for a specific way of conceiving reality, which is determined and managed by only a few. This necessarily results in a power relation between that which is preserved, and by whom—and that which is not. Contemporary archival practice is deeply ambivalent toward the rhetoric of truth and authenticity, that is, the supposedly “real.” In this context, the construction as well as the transmission of “the real” is implemented through the tension between representation and production, between the public and the private, between the objective and the subjective.[3] So, what if archives—unconsciously or consciously—work against something or someone?
DM The power and violence inherent to the archive is frequently, and quite rightly, criticized. However, the concept of the archive changed significantly at the end of the twentieth century. Here you address what I find to be an extremely important capacity of the archive: its being both one thing and another. Less in the sense of a dialectic, which leads to something third or synthetic, the archive rather always entails a conflictual tension. I would add to this the capacity for the co-existence of “exhibition” and “inhibition.” It’s not possible to display an archive. Only some excerpts of the archive are visible (exhibition), while others remain invisible (inhibition), or for which the “right conditions” have either already been created or are still in process. This characteristic is connected to a constellation of different forms of practice, which produce a diversity of networks within the archive.
MD This constellation of different forms of practice sums up the last three years of archival work very well. Previously you referred to the work of those actors whose presence can only be detected in the archive. It’s a very positivistic notion of the archive that they will find visibility there. However, as Foucault wrote in 1969, “the archive is first the law of what can be said.”[4] You refer to this in your text “The Undutiful Daughter’s Concept of Archival Metabolism” (2018), subsequently posing the question: “[w]hat if that which refuses to be forgotten escapes language? Or what if [it] speaks a language that the law’s system fails to recognize?” You thereby raise the question of how to deal with everything “that cannot be said” and its capacity for resistance.[5] Following from this, the question arises for me as to how speechlessness is reflected in the archive at all, or how it becomes visible, when we are dealing with documents that are based on language, numbers, or signs. Is it only the lack of it that presents itself in relation to what already exists? Or, put differently: does the archive “help” us to remember, or does it contribute to our forgetting?
DM Your critique of positivistic thinking is an important point, since the archive is obviously not a universal remedy. It can neither fill the gaps, as though there had never been this violence of omission, nor can the archive retrieve what has passed. Over the past years I have been trying to negotiate the asynchronous simultaneity of opposites within the archive with the notion of archival metabolism. My thoughts are informed by two things: firstly, working with non-institutional archives because of the absence of their content (in the form of “historical knowledge”) in museums, universities, and libraries.[6] Secondly, situating the archive in relation to political-systemic ruptures as they occurred worldwide around 1990. Here I am not interested in the competition between the institutional and the non-institutional archive, nor is it about the possibility of correcting or completing a historical narrative. Much rather, it has become clear to me that the activation of an archive in the present does not result from a copy-paste practice of set pieces from the past into the present. As much as we need the “history lesson,” which must be about the most accurate reconstruction of historical moments on the basis of facts, dates, and documents, the archive itself is subject to the challenges of transgenerational transfers. The archival metabolism attempts to recognize this transgenerational transfer, which is characterized by misunderstandings, different languages, and terms, decontextualizations, untranslatability, and speechlessness as part of a transhistorical knowledge process. In this sense, remembering is not in competition with forgetting, but is rather a remembering of forgetting—an intertwined process.

GH When we started working at the Kunstverein, we were aware that there was a “before,” but also that there is an “after.” In discussions with the various authors in this publication, along with former colleagues, we kept coming back to this point that something cannot be considered conclusive even at the moment of its publication. The latter is a stocktaking, an interim position in all its ephemerality. Our view on the archive changes constantly as we find new documents or come across new people. What we are interested in with our work here, as with our curatorial interests in general, is how an institution constitutes itself through all of its paratextual as well as infrastructural elements, and with that, how it goes far beyond its public program. Where are we situated and who is working within these structures? For that reason, we always look back on past moments of politicization and reconfiguration in the Kunstverein’s history since they give us information about a form of institution-building. One example is the exhibition Transform the world! Poetry must be made by all!, which was organized with students of the Academy of Fine Arts Munich in 1970. The students were publicly protesting the ongoing employment, without any review and reconsideration, of longstanding staff members at the Academy and other universities following the end of World War II.[7] A more recent example for the politicization of the Kunstverein would be No River to Cross (2021) by Bea Schlingelhoff, whose exhibition included a proposal of a change of statutes, which was negotiated at an extraordinary meeting of members.[8]
Trinh T. Minh-ha’s concept of “speaking nearby,” as opposed to “speaking for” or “speaking about,” appears as a useful frame of thought for considering desirable methods of archival work.[9] We don’t want to talk about history and its actors but rather with them, alongside them. The narrative should be ceded, so that in doing so, one’s own position (and subjectivity) opposite that which is being discussed and collected can be simultaneously disclosed and problematized. This may also bring to the fore the difficulty of an alliance that can be perceived as non-conforming and threatening for some and not for others.
DM The archive’s potential is never exhausted if we refrain from searching it for documents solely as pieces of evidence—since this often does not yield results, while “potential histories” proliferate nonetheless.[10] Could we find circumstantial evidence for the fact that the Kunstverein’s program, for example, reflected the partitioning of the African continent within the framework of the colonial Berlin Conference of 1884/85 under the leadership of Otto von Bismarck with 13 other representatives of imperial states or great powers? Is the founding of the Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (Initiative of Black People in Germany) in 1986 reflected in the archive somehow? How does the Kunstverein München archive address the dissolution of the GDR around 1990? Does the archive whisper about it from the sidelines? Has the archive forbidden the languages in which these voices speak?
A longer version of the conversation first appeared in 2023 as part of the anniversary publication FOR NOW - 200 Years Kunstverein München.
Doreen Mende is a curator, theorist, and director of the Research Department at Staatliche Kunstsammlungen Dresden. Since 2015, she is associate professor of the Visual Arts Department of HEAD Genève in Switzerland, where she conducted the project Decolonizing Socialism Entangled Internationalism (2019–2024), funded by the Swiss National Science Foundation, in collaboration with blaxTARLINES in Ghana, Oralities Research Lab in India, Van AbbeMuseum in the Netherlands, a.o. She is co-editor of Navigation Beyond Vision (with Tom Holert and e-flux Journal), and has published numerous scholarly and essayistic articles with Sternberg Press, MIT Press, e-flux Journal, The Oxford Handbook for Communist Visual Cultures, Bloomsbury Publishing, Jerusalem Quarterly, Archive Books, and spector books. She is a founding member of the Harun Farocki Institute in Berlin.
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[1] Suely Rolnik, “Archive Mania,” in 100 Notes – 100 Thoughts / 100 Notizen – 100 Gedanken: No. 022 (Kassel, 2011), p. 18.
[2] Ibid., pp. 14–15.
[3] On the use of the term “the real” in the archive, see Giovanna Zapperi, “The Archive as a contact zone,” 2016, https://ael.eui.eu/wp-content/uploads/sites/21/2016/11/The-Archive-as-a-contact-zone.pdf (accessed May 15, 2023).
[4] Michel Foucault, The Archaeology of Knowledge (New York, 1972), p. 129.
[5] Doreen Mende, “The Undutiful Daughter’s Concept of Archival Metabolism,” in e-flux Journal #93, September 2018. The undutiful daughter is described by Mende in her eponymous text from 2018 as a figure who challenges the archive’s patriarchal logics along a complex constellation with “those who have access to the law and who (have learned to) speak its language.” Rather, in the context of societies refusing the law of the father, or, in which the law of the father has collapsed, it is possible and necessary to think the archive departing from positions of knowing otherwise: “the undutiful daughter refuses the paternal law but […] also believes in the archive’s futuristic power. She cannot (not) participate in the language “of what can be said,” but she does so in accordance with her own learning processes, vocabularies, and pathways. She is already two: a daughter and an undutiful. In other words, she does not struggle for representation and recognition within the logic of the law; rather, she continuously rehearses the actualization of intensities and forces (Deleuze) by radically challenging the archive’s mind-set.”
[6] On the use of the term “historical knowledge,” see Michel Foucault, The Archaeology of Knowledge (New York, 1972), p. 11.
[7] As a result of the dispute over the project that flared up between the board, the members, and the Ministry of Cultural Affairs, the exhibition was forced to close prematurely.
[8] On the change of statutes, see: www.kunstverein-muenchen.de/en/program/exhibitions/past/2021/bea-schlingelhoff (accessed May 15, 2023).
[9] Cf. Interview by Nancy N. Chen with Trinh T. Minh-ha, “Speaking Nearby,” in Trinh T. Minh-ha, Texte, Filme, Gespräche (Munich, 1995), pp. 59–78.
[10] Cf. Ariella A. Azoulay, Potential History. Unlearning Imperialism (London/New York, 2019).