Jef Geys
13. Oktober – 25. November 2001
Der belgische Künstler Jef Geys (geb. 1934), der durch seine Teilnahme an der Ausstellung »Skulptur Projekte in Münster 1997« auch einem breiteren Publikum bekannt wurde, zeigt im Kunstverein München die seit 1962/63 fortlaufende Bilderserie Grote Zaadzakjes (Große Samentüten) sowie die Studien Kleine Zaadzakjes und verschränkt diese mit einer neuen, ortsspezifischen Rauminstallation. Darüber hinaus realisiert der Kunstverein in Zusammenarbeit mit kunstprojekteRiem und der Kulturstiftung der Stadtsparkasse im öffentlichen Raum eine modifizierte Form eines älteren Projekts von Geys zu den Idealen »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit«. Ebenso wie Broodthaers und Panamarenko ist Geys ein Künstlertypus, der sich Zuordnungen verweigert. Aspekte von Pop, Fluxus und Konzeptkunst fusionieren in seiner Bildsprache. Sein Werk unterzieht die Kunst, ihre Institutionen sowie gesellschaftspolitischen Zusammenhänge einem humorvollen Sezierprozeß. Er greift das Definitionsmonopol der Institutionen und Experten gleichermaßen an wie das Geschmäcklerische und Klischeehafte des Schönheitskanons, des Kitsch oder der Pop-Kultur. Seine Bilder, Skulpturen und Installationen sind häufig als serielle und unabgeschlossene Arbeitsprozesse konzipiert. In der Bilderserie Grote Zaadzakjes, für die Geys, nach einer Vorstudie im Herbst 1962, ab 1963 jährlich ein neues Motiv einer Samentüte abmalt — sowohl von Blumen als auch Gemüse — und den Packungsinhalt in seinem Garten aussät. Dieses Jahr fiel die Wahl auf Convolvulus, eine Trichterwinde. Die konzeptuelle zyklische Zeitlichkeit kontrastiert mit der Pop-Ästhetik der mit Lackfarbe fotorealistisch auf Holztafeln gemalten Bilder. Naturimitation und kommerzielle Warenästhetik kollidieren und stellen Fragen der Darstellung, der Mimesis des Organischen oder des Produkts. Unter diesen Bildern sind Schilder angebracht, die sowohl die lateinische Bezeichnung der jeweiligen Pflanze als auch deren alltäglichen Namen angeben und die so die enzyklopädisch-wissenschaftlichen Aspekte der Serie betonen. Eine ähnlich distanziert-enzyklopädische Auflistung existierender »Differenzen« oder »Arten« findet sich in Geys' Rauminstallation für den Kunstverein: Eine Gerüst-Konstruktion brüskiert die Monumentalität des Kunstvereins, indem sie es ermöglicht, zu den sonst unerreichbaren Fenstern zu gelangen, unter denen Geys Namen von Ethnien — ironisch »Völker« betitelt — in einer scheinbaren Systematik verzeichnet. Die aufsteigende Chronologie — 1963-2001 — der Samentüten-Bilderserie wird auf der gegenüberliegenden Wand in Verbindung mit den Völkernennungen absteigend — 1962-1928 — fortgesetzt und verstärkt so einerseits den Eindruck einer kalkulierten Ordnung, andererseits unterstützt die Jahreszahlenreihe die Möglichkeit zu individuellen Assoziationen hinsichtlich markanter historischer oder persönlicher Ereignisse.
Soziale, interaktive Projekte bilden das Fundament von Jef Geys' künstlerischer Praxis. Für die Gemeinschaft seiner Region entwickelte er verschiedene Projekte, die erst, nachdem sie vor Ort durchgeführt wurden, als Dokumentation im Kunstkontext präsentiert werden. So gründete er 1969 die Kneipe »Bar 900« und beteiligte sich 1971 als Künstler an einem Streik gegen eine Werksschließung. Als Lehrer an einer Grundschule entwickelte er Dutzende von Projekten mit Schülern und Lehrern. 1993 entwickelte er für das Kunstzentrum Witte de With in Rotterdam ein lokales Fernsehvorabendprogramm. Nach der Geschäftsaufgabe der regionalen Zeitung Kempens Informatieblad übernahm er für ausstellungsbegleitende Sonderhefte mit Informationen und Hintergrundberichten deren Titel.
In Zusammenarbeit mit kunstprojekteRiem reaktiviert Jef Geys nun für München ein Projekt, das er 1986 für die vielbesprochene Ausstellung »Chambres d'amis« in Gent entwickelt hatte, bei der Künstler ausschließlich in Privatwohnungen ausstellten. Jef Geys konzipierte für sechs Wohnungen Türen, die in drei Sprachen mit den auch für unser Demokratieverständnis maßgeblichen Idealen der Französischen Revolution von 1789 beschriftet sind: Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit. Im Gegensatz zu den großbürgerlichen Gastgeberwohnungen der Ausstellung wählte Geys enge Wohnungen von sozial weniger begünstigten Bürgern aus, wo sich — neben der distanzierten Kunstbetrachtung — auch eine Konfrontation mit der Lebenswirklichkeit ergab. In München plaziert Geys diese Türen in sechs sakralen Räumen unterschiedlicher Religionen. Die Türen sind so vor einer Wand platziert, dass kein Durchgang möglich ist. Bislang konnten drei Türen Dank der freundlichen Kooperation der beteiligten Kirchengemeinden installiert werden: in der Griechisch-orthodoxen Allerheiligenkirche (Ungererstr. 131), der Evangelischen Jesuskirche (Waldluststr. 36, München-Haar) und dem Ökumenischen Friedhof Riem/Trudering (Am Mitterfeld 68). Weitere Orte sollen folgen. Jef Geys' künstlerische Intervention fungiert hier als medialer Hebel, der, vor dem Hintergrund der Einforderung der menschlichen Grundrechte für alle Menschen, Anlass für Gespräche über ganz unterschiedliche Thematiken bieten kann.
Darüber hinaus plant Geys für kunstprojekteRiem ein Projekt für die Messestadt Riem: Internationale Völkergärten. Mindestens 27 (Anzahl noch offen) 4 x 4 m große Pflanzkübel aus Beton, die in ihrer Form dem Umriß verschiedener Länder folgen und mit der für diese Länder prägnanten Fauna bepflanzt sind, werden zu einem »demokratischen« Völkergarten, indem alle Länder in gleichem Größenverhältnis zu einander stehen, arrangiert und von den jeweiligen aus den entsprechenden Ländern stammenden Bewohnern der Messestadt gepflegt.
Anläßlich der Ausstellung erscheint eine neue Ausgabe von Jef Geys' Kempens Informatieblad mit Texten von Claudia Büttner, Frederik Leen, Michael Hauffen, Dirk Snauwaert.
Ausstellung und Publikation entstehen Dank der Unterstützung des Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst und dem Ministerie van de Vlaamse Gemeenschap. Der Kunstverein wird gefördert vom Kulturreferat der LH München. Die Reihe des Kunstvereins mit Projekten im öffentlichen Raum wird gefördert von der Kulturstiftung der Stadtsparkasse München.
Vortrag von Jochen Becker Let's go outsite: Dienstag, 13. November, 20 Uhr
1: Jef Geys, Jef Geys: 1962–2001, Installationsansicht
2: Porträt des Künstlers Jef Geys in seiner Ausstellung